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Der Schatten des Patriarchen

von RALPH BOLLMANN

Bevor der Exkanzler heute nach Amerika fliegt, hat er in Berlin noch schnell für Klarheit gesorgt. „Das gefällt mir gut“, kommentierte Helmut Kohl vor Journalisten am Dienstag die Aussicht, in Berlin „in die Schlacht zu ziehen“ gegen die „rot angestrichenen Faschisten“ von der PDS.

Auch Kohls Parteifreund Klaus Landowsky, der in den vier Monaten der hauptstädtischen Spendenaffäre immer grauer wirkte, hat wieder zu alter Frische zurückgefunden. Als die Partei am Sonntag ihren Berliner Spitzenkandidaten Frank Steffel präsentierte, fingen die Kameras das Gesicht eines glücklichen Landowsky ein. Als Banker, Fraktionschef und Landesvize ist er zwar zurückgetreten – doch vom Hauptberuf des Strippenziehers will er sich so wenig verabschieden wie der Exehrenvorsitzende Helmut Kohl.

Was sich während der quälenden Monate der beiden Berliner Spendenaffären in Bund und Land bereits abgezeichnet hatte, jetzt wird es zur Gewissheit: Die CDU wird ihre Überväter nicht los. Seit anderthalb Jahren arbeitet Angela Merkel jetzt an der Erneuerung der Partei – doch ihr Vorvorgänger ist immer noch in der Lage, alle Mühen mit wenigen Sätzen zunichte zu machen. Oft braucht es dafür nicht einmal Worte: Kohl mit Steffel im italienischen Restaurant, Kohl mit Steffel in der Reichstagskantine – auch damit trug Kohl dazu bei, seinen Intimfeind Wolfgang Schäuble aus dem Rennen um die Berliner Spitzenkandidatur zu werfen.

In der CDU geht es zu wie in Shakespeares Königsdramen: Die gestürzten Monarchen ziehen die Getreuen von einst mit in den Abgrund. Durch die gemeinsamen Taten der Vergangenheit sind die Nachfolger auf Gedeih und Verderb an ihre Vorgänger gekettet, der Versuch der Erneuerung muss daran scheitern. Besonders schmerzlich bekam das Wolfgang Schäuble zu spüren: Als der einstige Kohl-Getreue endlich den offenen Bruch mit seinem politischen Ziehvater wagte, wurde er in den Strudel der Spendenaffäre hineingezogen.

In der Geschichte der Bundesrepublik brauchte die jeweilige Oppositionspartei durchschnittlich 15 Jahre, bis sie sich nach dem Machtverlust wieder zur Regierungspartei aufschwingen konnte. Das ist die Zeitspanne, in der eine neue politische Generation nachwächst. Frühestens die „Enkel“ bekommen wieder eine Chance. Denn die Altersgruppe, die noch unter dem Ancien Régime wirkte, kommt aus dem Schatten der Altvordern nicht heraus – das musste einst Rainer Barzel so schmerzlich erfahren wie heute Angela Merkel.

Und wie im Gruselfilm erwacht das Monster Kohl nach jedem Schlag zu neuem Leben. Die Liste der Auferstehungen ist mittlerweile ziemlich lang. Sie begann 1989, als der Kanzler schon abgeschrieben war und ihm nur der Fall der Mauer zu neuer Popularität verhalf. Sie setzte sich fort 1999, als der abgewählte Kohl plötzlich wieder als Volkstribun auftrat. Von den Zuhörern bejubelt, erklärte er den Nachfolger Gerhard Schröder für unfähig. Das Wahlergebnis 1998 war für ihn nichts als ein Irrtum, den er dem Volk gnädig verzieh.

Das ging nicht lange gut: Ende 1999 fand die Kohl-Renaissance mit der Spendenaffäre ihr jähes Ende. Mit der Weigerung, die Namen seiner Parteispender zu nennen, stellte Kohl seine persönliche Ehrenrettung über das Interesse der Partei – genauso, wie es Landowsky in Berlin machte: Das zähe Festhalten an seinen Ämtern bezahlte die örtliche CDU mit der Macht.

Im Berliner Wahlkampf werden sich jetzt die Szenen von 1999 wiederholen. Selbst dem wenig geliebten Eberhard Diepgen leistete Kohl vor knapp zwei Jahren Wahlkampfhilfe. Wie ein Popstar trat Kohl auf. Ältere Damen reckten begeistert die Arme in die Luft und spendeten beim Einzug des Exkanzlers rhythmischen Applaus. Der bemühte sich gar nicht erst, seine Freude zu verbergen: „Es gibt Hochs und es gibt Tiefs. Und das genießt man.“

Damals sprach Kohl vor einem überwiegend ergrauten Publikum viel vom Zweiten Weltkrieg und seinen Lehren. Auch diesmal greift er wieder weit zurück – auf seine Studienzeit Anfang der Fünfzigerjahre und Kurt Schumachers Wort von den „rot angestrichenen Faschisten“. Mal sehen, wie lange die Euphorie diesmal anhält.

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