: „Filz und Korruption müssen verschwinden“
Justizsenator Wolfgang Wieland (Grüne) will eine Sonderermittlungsgruppe zur Bankgesellschaft einrichten. Es sei schockierend, wo überall der Verdacht auf Korruption aufkomme. Die Kandidatur von Gregor Gysi betrachtet er als Herausforderung. Der habe aber nur einen Vorsprung als Selbstdarsteller
Interview PLUTONIA PLARREund ANDREAS SPANNBAUER
taz: Herr Wieland, sind Sie am Ziel Ihrer Täume angelangt oder wollen Sie immer noch Innensenator werden?
Wolfgang Wieland: Nein. Ich gewinne jeden Tag mehr Freude an diesem Amt. Der Justizsenator hat im Moment eine wesentliche Aufgabe: Er muss dafür sorgen, dass das verlorene Vertrauen in den Rechtsstaat wieder hergestellt wird, inbesondere im Zusammenhang mit der Banken- und Parteispendenaffäre.
Womit wir beim Thema wären. Sie haben am Mittwoch lange mit den beiden Generalstaatsanwälten über die Ermittlungen in Sachen Bankgesellschaft gesprochen. Was ist das Ergebnis?
Ich habe mich ausführlich über den Stand der Ermittlungen unterrichten lassen. Mit dem Stand vom 20. Juni gab es genau 57 Verfahren in Sachen Bankgesellschaft. 41 davon wurden auf Anzeige eröffnet, 16 von Amts wegen nach entsprechenden Medienberichten. 36 Verfahren sind eingestellt worden. Die großen, bedeutsamen Komplexe, also die Kredite an das Immobilienunternehmen Aubis, die Fondsgestaltung der Bankgesellschaft und die so genannten Exklusiv-Fonds für ausgewählte Personenkreise, sind aber alle noch offen.
Gab es unter Ihrem Vorgänger Eberhard Diepgen Defizite bei diesen Ermittlungen?
Die Ermittlungen haben sich in den letzten zwei Wochen deutlich gesteigert. Dies ist sicherlich auf den öffentlichen Druck zurückzuführen. Zum Leidwesen der Staatsanwaltschaft ist ihre Arbeit in Sachen Bankenkomplex von der Öffentlichkeit aber nicht zur Kenntnis genommen worden, was vor allem ein Problem der Außendarstellung der Behörde ist. Mit einer gewissen Genugtuung habe ich zur Kenntnis genommen, dass am Anfang der Ermittlungen ein Schreiben von mir gestanden hat, das ich als grüner Oppositionsführer Ende Januar an das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen gerichtet hatte, mit einer Abschrift an die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin.
Wird es eine Sonderkommission Bankgesellschaft geben?
Wir haben vereinbart, dass eine „Sonderermittlungsgruppe Bankgesellschaft Berlin“ eingerichtet wird, die von einem Oberstaatsanwalt geleitet wird. Nach dem aktuellen Stand sind zwei Wirtschaftsreferenten, vier Staatsanwälte und vier bis sechs Polizeibeamte – unter Federführung der Staatsanwaltschaft – mit den Ermittlungen befasst. Damit hat die Staatsanwaltschaft eine ausreichende Arbeitsgrundlage. Wenn die Ermittlungen lawinenartig mehr werden, muss personell aufgestockt werden
Da könnte also noch einiges hochkommen?
Sicherlich. Damit haben wir gerechnet. Aber wenn man es in so kompakter Form vor Augen geführt bekommt, wo überall der Verdacht auf Korruption besteht, bekommt man doch einen Schock. Das ist alles noch viel schlimmer als erwartet. Ich bin aber guter Dinge, dass wir die strafrechtliche Aufarbeitung dieses Komplexes bewältigen werden.
Haben die Generalstaatsanwälte die Sorge geäußert, dass Sie die Ermittlungen in Sachen Bankenaffäre dazu gebrauchen könnten, die Grünen im Wahlkampf zu profilieren?
Das Gespräch war absolut vertraulich. Allgemein gesprochen muss ich äußerste Zurückhaltung üben, wenn der Bankenskandal zum Wahlkampfthema wird. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass in eine bestimmte Richtung ermittelt wird, weil Wahlkampf ist und es einen grünen Justizsenator gibt.
Sie haben die Bundesratsinitiative ihres Vorgängers zur Bekämpfung von Graffiti zurückgezogen. Welche weiteren rechtspolitischen Ziele wollen Sie im Übergangssenat verwirklichen?
Bezogen auf den Bundesrat haben wir insgesamt eine Kehrtwende vollzogen. Berlin wird nicht mehr die rot-grüne Justizpolitik auf Bundesebene konterkarieren. Das bezieht sich auf die so genannte Schuldrechtsnovelle, die Novelle der Zivilprozessordnung oder eben auf die Verschärfung der Graffiti-Gesetzgebung. Letztere ist im Bundestag schon einmal gescheitert und hat völlig einseitig auf Strafe gesetzt. Das ist in meinen Augen bei diesem gesellschaftlichen Phänomen der völlig falsche Weg.
Der Wahlkampf ist längst eröffnet. Haben die Grünen Angst vor dem PDS-Spitzenkandidaten Gregor Gysi?
Die Grünen haben vor gar nichts auf der Welt Angst. Wir fürchten noch nicht einmal Gott wie Kaiser Wilhelm.
Meinungsforscher rechnen damit, dass Gysi vor allem bei den Grünen Wähler abziehen wird.
Gregor Gysis Kandidatur ist eine Herausforderung. Wir sehen seine Attraktivität für das grüne Milieu. Aber dass Gysi mit den Problemen der Stadt vertraut ist, kann man nun wirklich nicht feststellen. Er redet über Berlin, wie es jeder Zeitungsleser kann. In der medialen Selbstdarstellung hat er einen Vorsprung. Aber hier wird nicht der Regierende Talkmaster gesucht. Es geht um die Frage, wer in einer finanziell katastrophalen Situation die Probleme der Stadt lösen kann.
Wie wollen Sie einen Stimmenverlust abwenden?
Wir sind überzeugt, dass wir mit unseren alten Stärken antreten müssen. Wir werden möglichst lebhaft und fantasievoll Sachpolitik für Berlin vorschlagen. Wir werden ein Team in den Wahlkampf schicken, das unsere gesamten Stärken repräsentiert. Gerade bei dem bisherigen Kandidatenrennen muss eine Frau die Spitzenkandidatin sein.
Mit welchen Themen wollen sich die Grünen im Unterschied zu SPD und PDS profilieren?
Im Vordergrund wird bei uns der ökologische Umbau der Stadt stehen. Mit unserem neuen Ressort Wirtschaft und Umwelt werden wir zeigen, dass Arbeitsplätze an den ökologischen Bereich gekoppelt werden können. In der Innenpolitik ist die Frage des multikulturellen Zusammenlebens das Hauptproblem. Ohne multikulturelles Zusammenleben ist für uns Urbanität nicht vorstellbar. Dazu kommt unser Image als Antikorruptionspartei in der Aufklärung der Banken- und Finanzaffäre. Wir brauchen saubere Hände im öffentlichen Dienst. Wir regieren nur dann mit, wenn in Berlin Filz und Korruption verschwinden.
Wie wollen Sie das Loch im Landeshaushalt stopfen?
In der Haushaltssanierung haben wir einen sehr langfristigen Konsolidierungspfad vorgezeichnet. Anders als bei Bundesfinanzminister Hans Eichel werden sich Ausgaben und Einnahmen bei uns erst im Jahr 2016 decken. Dazu ist eine Senkung der Personalausgaben um eine Milliarde Mark notwendig. Wir wollen diese Einsparmaßnahmen nicht durch betriebsbedingte Kündigungen, sondern durch intelligente Arbeitszeitverkürzungsmaßnahmen erreichen.
Apropos Personalfragen: Ihre designierte Spitzenkandidatin Sibyll Klotz ist in der Bundespartei ziemlich umstritten.
Die Bundespartei, besser gesagt: einzelne Personen aus der Bundestagsfraktion oder einzelne Ministerinnen, mischen sich an der einen oder anderen Stelle ein. Die Erfahrung ist: Je intensiver sie intervenieren, desto deutlicher wird die Abwehrreaktion. Ich freue mich darüber nicht. Aber es ist beim Berliner Landesverband schlechterdings nicht vorstellbar, dass von der Bundesebene aus bestimmt wird, wer Spitzenkandidat oder Spitzenkandidatin wird. Andere mögen sich so verändert haben, dass sie das Wort Basisdemokratie nur noch lächerlich finden, wir haben uns nicht so geändert. Wir denken nicht daran, uns hier Vorgaben machen zu lassen.
Auch über die Besetzung der Staatssekretärsposten regt sich in der Partei Unmut. Frau Erika Romberg war als Kreuzberger Baustadträtin höchst umstritten. Hat sich das Frauenproporzdenken gegen das Kriterium Qualifikation durchgesetzt?
Nein, überhaupt nicht. Wir brauchen in dieser kurzen Zeit in einem neuen Ressort eine durchsetzungsstarke grüne Frau. Da kann es nicht auf Harmonie mit Peter Strieder ankommen, der sich im Übrigen nicht gesperrt hat. Er hat ja eine gewisse Lockerheit in den vergangenen Wochen gewonnen. Natürlich denken wir auch an die Frauenquote. Sie hat sich gut bewährt in Berlin, und sie muss sich auch in zugespitzten Situationen bewähren.
Die geplante Berufung des grünen Gesundheitsexperten Bernd Köppl zum Staatssekretär für Wissenschaft und Kultur verwundert ebenfalls. Was qualifiziert ihn für diesen Bereich?
Unsere neue Kultursenatorin Adrienne Goehler hatte sich von Anfang an Bernd Köppl als Staatssekretär gewünscht. Er ist ein langjähriger Bekannter von Frau Goehler und ein guter Allgemeinpolitiker. Auch das Kulturressort braucht jemanden, der in Haushaltsfragen mit den Sozialdemokraten verhandeln kann. In den nächsten drei Monaten wird es nicht die Hauptaufgabe auf dem Gebiet der Wissenschaft sein, intelligente Reden in Unversitäten zu halten, sondern die Hochschulverträge und die Hochschulmedizin geschultert zu bekommen. Gerade für diesen Punkt ist Bernd Köppl qualifiziert. Aus beamtenrechtlichen Gründen könnte er die Stelle aber ohnehin frühestens am 30. September antreten. Bis dahin sollten wir das Ergebnis der Neuwahlen abwarten.
Sie sind mit Abstand der prominenteste Politiker der Grünen in Berlin. Warum bewerben Sie sich nicht selbst als Spitzenkandidat?
Ich brauch kein Spitzenkandidat zu sein. Das geht allein aus satzungsmäßigen Gründen nicht. Mein bester Platz auf einer Landesliste war Platz vier. Es hat meiner Prominenz nicht geschadet. Ich halte das für einen Zirkus. Ich bin ein altes Mitglied der Alternativen Liste und habe immer gesagt, wir müssen als Gruppe antreten, wir müssen viele Stärken haben. Das ist grüne Tradition und hat sich bewährt.
Genau das macht man Ihnen zum Vorwurf: Der CDU-Fraktionsvorsitzende Frank Steffel zum Bespiel wirft Ihnen vor, Sie seien verbraucht und würden vor allem das alte Westberliner Grünen-Milieu verkörpern statt Aufbruch und Innovation.
Darüber grüble ich Tage und Nächte. Gestern las ich den Vorwurf, dass die Grünen in den letzten 20 Jahren 20 Jahre älter geworden sind. Ich frage mich, wo ist der Unterschied zu Gregor Gysi, der zwar mein Jahrgang, aber in den letzten 20 Jahren offenbar 20 Jahre jünger geworden ist. Irgendwas mache ich falsch, ich weiß leider nicht was.
Fühlen Sie sich denn verbraucht?
Das ist absurd. Ich arbeite seit Wochen mehr und effektiver als je in meinem Leben.
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