: Frühlingsgefühle im Sommerloch
Der rot-grüne Übergangssenat will auf eine liberalere Asyl- und Abschiebepolitik umschwenken. Am Montag soll über das Bleiberecht von bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen entschieden werden. Flüchtlingsinitiativen bleiben skeptisch
von HEIKE KLEFFNER
Eine „ausländerpolitische Wüste“ hat die große Koalition hinterlassen – zumindest nach Ansicht antirassistischer Gruppen und Flüchtlingsorganisationen. Das Negativsaldo ist lang: Die Zahl der Einbürgerungen ist um 50 Prozent zurückgegangen; willkürliche Entscheidungen der Ausländerbehörde nach dem Motto „Im Zweifelsfall immer gegen die Betroffenen“ sorgten immer wieder für Schlagzeilen und beschäftigen den Härtefallausschuss. Entsprechend groß sind die Erwartungen, die Flüchtlingshelfer und Migrantenverbände an den rot-grünen Übergangssenat haben.
Eine ihrer vielen Forderungen könnte vielleicht schon am Montag erfüllt werden: Dann soll im Innenausschuss ein Antrag der Bündnisgrünen beraten werden, das Bleiberecht für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina in Berlin den Beschlüssen der Innenministerkonferenz vom Mai dieses Jahres anzupassen. Hartwig Berger, migrationspolitischer Sprecher der Bündnisgrünen-Fraktion, rechnet damit, dass der Antrag nicht nur gemeinsam mit den Stimmen von SPD und PDS angenommen, sondern auch von Innensenator Ehrhart Körting (SPD) umgesetzt wird. Darüber hinaus erwartet Berger, dass Körting einen Abschiebestopp für Flüchtlinge aus dem Kongo verhängt.
Grundsätzlich geht man bei den Bündnisgrünen davon aus, dass die Ausländerbehörde unter Körting in den nächsten Monaten auch bei Abschiebungen und den Abschiebehaftbedingungen auf eine „liberalere und tolerantere Linie umschwenken wird“. Das wäre durchaus im Sinne des Jesuitenflüchtlingsdienstes, der seit langem kritisiert, dass die Ausländerbehörde „restriktiv und schematisch“ vorgehe, wenn es um die Anordnung von Abschiebehaft geht. Weder würde nach Einzelfallkritierien geprüft, noch würden gesetzliche Fristen beachtet oder werde hinterfragt, ob die Abschiebehaft von abgelehnten Asylbewerbern überhaupt notwendig sei.
Inwieweit die Kritik der ehrenamtlichen Initiativen tatsächlich Eingang in die Senatspolitik findet, wird sich erst in den nächsten Wochen zeigen. Thomas Kleineidam, migrationspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, jedenfalls formuliert das Ziel des Übergangssenats lediglich so: Angestrebt werde, „die Ausländerpolitik in Berlin auf den Standard der SPD-geführten Bundesländer zu bringen“.
Demgegenüber will die PDS, die sich zu Zeiten der großen Koalition mit den Bündnisgrünen allein auf weiter Flur fand, wenn es um asylpolitische Fragen ging, eigene Akzente setzen: Der neue Senat solle sich im Bundesrat für das kommunale Wahlrecht für Ausländer einsetzen, so die PDS-Abgeordnete Karin Hopfmann.
Bei vielen außerparlamentarischen Initiativen überwiegt angesichts der Erfahrungen mit der rot-grünen Asyl- und Ausländerpolitik auf bundespolitischer Ebene eher Pragmatismus. Zum Beispiel beim Türkischen Bund Berlin-Brandenburg (TBB): Sprecher Safter Cinar verweist auf die Notwendigkeit, möglichst viele Migranten einzubürgern, um zumindest eine formalrechtliche Gleichstellung zu erreichen. In Anbetracht der langen Wartezeit für Einbürgerungswillige in Berlin fordert der TBB, sowohl die schriftliche Sprachprüfung der Deutschkenntnisse der Bewerber als auch die Regelanfrage beim Verfassungsschutz abzuschaffen. Dabei weiß Cinar die Bündnisgrünen hinter sich, die „ein klares Signal“ in der Einbürgerungsfrage setzen wollen. Im Übrigen verweist Cinar auf längst gefällte Beschlüsse des Abgeordnetenhauses: beispielsweise im öffentlichen Dienst gezielt Nichtdeutsche einzustellen und auszubilden. Dies sollte nun umgesetzt werden.
Beim Flüchtlingsrat Berlin ist die Wunschliste etwas länger: Hier hofft man zum Beispiel darauf, dass minderjährige und allein reisende Asylsuchende, die Anfang der 90er-Jahre vor allem aus Angola nach Berlin flohen, jetzt ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten. Und Jens-Uwe Thomas, Koordinator in der Geschäftsstelle des Flüchtlingsrats, wird die Abgeordneten von PDS, Grünen und SPD in den nächsten Tagen auch daran erinnern, dass sie in der Vergangenheit beschlossen hatten, Asylbewerber in Wohnungen statt in Sammelunterkünften unterzubringen. „Wir sind gespannt, was sich in der Praxis verändern wird.“
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