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Rächer und Verderbte

Mediendiskurs mit Pferd: Die Volksbühne in Berlin und die Camp-Crew des Hildesheimer Theaters Mahagony laden zur Wildwestshow, frei nach Motiven des Klassikers „Spiel mir das Lied vom Tod“

von EVA BEHRENDT

Der Komparativ von Westen aber heißt: Western. Vor knapp einem Jahr hatte also Bernd Neumann eine neoromantische Westernkulisse für die Bühne des prenzlauerbergischen Vergnügungslokals Prater in Berlin entworfen, auf dass sich darin eine Spielzeit lang serienweise das Theater am Film inspiriere und abarbeite, die darstellende Kunst im Osten an den Traumfabriken des Westens, die Interpretation an der Unterhaltung. Nicht zuletzt, weil der Westen – als Symbol für eine kapitalistische, coole Gesellschaftsform, versteht sich – im nicht minder symbolischen Gegensatz zum Osten womöglich das konstitutive Thema der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz ist, seit die innerdeutsche frontier spektakulär in sich zusammensackte.

Jedenfalls sprach viel dafür, dass am Ende dieser Spielzeit Neumanns rötliche Kaktuslandschaft mit Albrecht Hirches Theaterfassung von Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“ höhepunkthalber eine innige Verbindung eingehen und vielleicht zu sich selber finden würde. Es kam anders. Regisseur Hirche und seine Truppe – eine Kombination aus Tänzern des Volksbühnenensembles und der legendären „Camp“-Crew des Hildesheimer Theaters Mahagony (mit der Hirche in den vergangenen Jahren zu stadt- und staatstheaterfähigem Ruhm gelangte) – drängten ins Freie, nach Open Air. Entsprechend verwandelte Sebastian Soukup im Prater die betonierte Kurkapellen-Terrasse hinter der Biergartenzone in eine breiträumige Bad-Segeberg-Installation.

Dabei standen alle Zeichen auf dem Bourgeois ans Bein pinkelnden Dilettantismus: aus dem Bereich Trash eine Garnitur stapelbarer weißer Plastikgartenstühle, feldgraue Isomatten und der obligaten Würstchengrill (wenn Camp von Camping kommt, kommt Kunst vielleicht doch von Können) sowie eine frei stehende, saloonfähige Schwingtür; aus der Sektion Medienkritik Videobeamer und Werbeplakatwände mit Cowboy-Motiven; an beider Schnittstelle schließlich ein kameraobservierter Wohnwagen und zwei Cola-Automaten. Von eher bildendem Kunstwillen zeugten hingegen weiße, eckige Laubsägevariationen über ein Kakteenmotiv, mit deren Hilfe Wüstenlandschaft zugleich angedeutet und überhöht wurde.

Während nun 300 Meter weiter nordwestlich Madonna auf einem Elektrobullen reitend ihr zweites Berlin-Konzert gab und der Himmel sich zunehmend rötlich färbte, blieben während der Premiere zwei lange Stunden, in denen man sich selber Gedanken machen musste. Naturgemäß – doch das Theater verweigerte Entertainment diesmal sogar entgegen eigener Ankündigung („Wildwestshow“!) eitel und rücksichtslos.

Darüber täuschten weder das echte Pferd noch die fünf original Hühner hinweg. Und daran änderten weder die beiden Claudia Cardinales (Vivien Bullert, Kate Strong) und sieben Revuegirls etwas noch die tauglichen Darsteller der Rächer und Verderbten (Silvio Hildebrandt, Blaine Reininger, Nikos Kiriakidis, Konstantinos Avarikiotis und Carsten Schneider als Moderator) – alle samt und sonders in wunderbar wunderlichen Crossover-Kostümen (Kathrin Krumbein). Der beste Theaterselbstveralberungskalauer, ein Tänzer in der tragenden Rolle des vom Winde verwehten Heuballens, blieb gruselig einsam auf weiter Flur. Fast wie die vielfach zitierte Morricone-Mundharmonika in der Eröffnungsszene.

Dabei war auf jeden Fall alles dabei. Natürlich zuallererst Auflösung der linearen Filmhandlung zugunsten wohlweislich halbgeprobten Rumgewurstels. Dann aber auch Spiele mit dem Genre des Italo-Western und seinen Reißbrett-Typen, didaktischer Gebrauch der Internationalität der Darsteller und der Werbelogos, permanente Anspielungen auf Filmdetails im Speziellen, West, Spots und Pop im Allgemeinen sowie die kulturwissenschaftliche Deutung des Leone-Klassikers als Widerstands-Statement im US-Discourse of Happiness. Bisschen viel auf einmal?

Yes – zumal, um richtig gut schlecht zu sein. In dieser Hinsicht stimmte allerdings der kühne Schlussschwenk zur Fünfminutenkritik an der neoliberalen Globalisierung versöhnlich: Die Cowgirls und Sombreroträger bauen eine Styroporskyline mit Daimlersternen und Raketen, danken angeblichen Sponsoren, dann fallen die Coca-Cola-Aktien, die Preise steigen rasant, und schließlich explodiert der Getränkeautomat. Puff! So sieht ein verständlicher Diskursbeitrag aus.

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