: Albaner rufen nach der Nato
Chefs der Albaner-Parteien in Makedonien sehen eine Intervention als letzte Möglichkeit, um einen Bürgerkrieg zu verhindern. Aufgebrachte Makedonier stürmen das Parlament. UÇK-Rebellen drohen mit einem Einmarsch in Skopje
von ERICH RATHFELDER
Führer der größten albanischen Parteien in Makedonien rufen jetzt laut nach der Nato. Nur ein schnellstmögliches Eingreifen könne einen Bürgerkrieg noch verhindern, betonten sie gestern in Skopje. Nach einer Evakuierungsaktion von UÇK-Kämpfern aus dem Dorf Aracinovo mit Hilfe von Nato-Truppen hatte sich zuvor die Wut der slawischen Makedonier nicht nur gegen die eigene Regierung, sondern auch gegen Institutionen der internationalen Gemeinschaft entladen.
Vor dem Parlament in Skopje spielten sich in der Nacht zum Dienstag bisher unbekannte Szenen ab. Polizeireservisten mit Sturmgewehren und tausende aufgebrachte Zivilisten protestierten gegen das freie Geleit für die UÇK. Mehrere Dutzend stürmten das Parlamentsgebäude. Inzwischen sollen 80 Soldaten der US-Truppen Kämpfer der UÇK, es soll sich um 350 Personen handeln, mit Bussen aus dem Kriegsgebiet evakuiert haben. Nach letzten Informationen wurde der Konvoi jedoch in einem von slawischen Makedoniern bewohnten Dorf an der Weiterfahrt gehindert.
Das Ansehen der Regierung und des Präsidenten ist bei vielen slawischen Makedoniern auf dem Nullpunkt. Die wichtigste Regierungspartei, die Reformpartei VMRO, ist auf 8 Prozent Zustimmung gesunken. Auch der ehemals populäre Präsident Boris Trajkovski ist angeschlagen. Grund dafür ist die nach Meinung vieler slawischer Makedonier viel zu weiche Haltung gegenüber der albanischen UÇK. Trotz ständiger Offensiven hat die Armee bisher wenig erreicht, außer dass einige Dörfer wie Vaksince bei Kumanovo dem Erdboden gleichgemacht wurden. Da die Militärerfolge ausblieben, wuchs die Bereitschaft in der Bevölkerung, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Die pogromähnlichen Ausschreitungen gegen Albaner in Bitola waren ein erstes Anzeichen. Nationalistische und rechtsradikale Kreise hatten schon zu Beginn des Konfliktes gedroht, falls die Armee versage, paramilitärische Truppen in den Kampf zu schicken.
Überdies wird der Führung vorgeworfen, der internationalen Gemeinschaft zu sehr entgegenzukommen. EU-Außenminister Solana und Nato-Generalsekretär Robertson hatten mehrfach versucht, durch Verhandlungen mit den albanischen Parteien die Lage zu beruhigen. Die Bildung der Regierung der nationalen Einheit sollte diesem Ziel dienen. Dadurch jedoch wurde der Spielraum für eine nationalistische, außerparlamentarische Opposition erweitert.
Die Demonstranten sind zudem davon überzeugt, dass das Ausland auf Seiten der albanischen Rebellen stehe. Diese Überzeugung wurde durch die Vorgänge um und in Aracinovo bestärkt. Als Antwort auf die Artillerieangriffe in anderen Gebieten hatten die Kämpfer der UÇK das Dorf Aracinovo am Rande Skopjes vor drei Wochen besetzt. Tausende albanische Zivilisten flüchteten in das Kosovo.
Im Gegenzug griffen Regierungstruppen mit Panzern und Kampfhubschraubern an. Unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft musste die Offensive der Regierungstruppen jedoch abgebrochen werden. Nach Informationen der dpa soll der EU-Beauftragte für Außenpolitik, Javier Solana, mit „völliger wirtschaftlicher und politischer Isolation gedroht“ haben, wenn die Offensive weitergehe. Wenig hilfreich zeigte sich unterdessen die UÇK: Während die Nato half, die UÇK-Kämpfer aus Aracinovo zu evakuieren, griffen andere Kämpfer einen Polizeiposten bei Totovo an. Ein Polizist wurde getötet, mehrere verletzt. Gestern drohten UÇK-Vertreter noch mit einem Einmarsch in Skopje, sollte die Regierung weiter einen Dialog ablehnen.
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