: Scharfe Patronen
Militante Gruppe bedroht Vertreter der Stiftungsinitiative zur Zwangsarbeiterentschädigung. Anschlag auf Daimler
BERLIN taz ■ Führende Vertreter der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft zur Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter werden von einer linksradikalen Gruppe bedroht. Die Unbekannten, die sich „militante Gruppe“ nennen, haben sich in einem Selbstbezichtigungsschreiben zu einem Brandanschlag auf eine Niederlassung des DaimlerChysler Konzerns in Berlin-Marienfelde bekannt.
Wie die Berliner Polizei bestätigte, wurde am vergangenen Freitag auf dem Werksgelände von DaimlerChrysler ein Mercedes Vito in Brand gesetzt. Das Bekennerschreiben wurde der Nachrichtenagentur AFP und mehreren Zeitungsredaktionen – darunter die taz – zugestellt. Die unbekannten Autoren behaupten darin: „Nach unserer Aktion der gezielten Verschickung von scharfen Patronen am 12.06.01 an zwei Exponenten der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, Wolfgang Gibowski und Manfred Gentz, sowie dem Bundesbeauftragten Otto Graf Lambsdorff setzen wir unseren Angriff gegen den juristisch fixierten Schlußstrich unter das nazistische Vernichtungsprogramm der Zwangsarbeit fort“.
Gentz ist Finanzvorstand von DaimlerChrysler. Der Konzern wird in dem dreiseitigen Schreiben als „treibende Kraft dieses zynischen ,Entschädigungsspektakels‘ des deutschen Kapitals“ bezeichnet. Der „maßgebliche Profiteur des deutschen Faschismus“ bestimme „nun also auch die Konditionen der Tilgung seiner Verbrechen“. Das Unternehmen setze wie die anderen Initiatoren der Stiftungsinitiative auf einen „zynischen Schlußstrich“ und eine „billige“ symbolische Zahlung an die Opfer. Die Autoren des Textes fordern dagegen „180 Milliarden DM für die ZwangsarbeiterInnen sofort und bedingungslos“. Wie diese Summe zu Stande kommt, ist aus dem Schreiben nicht ersichtlich.
Der Sprecher der Stiftungsinitiative Wolfgang Gibowski wollte sich gestern ebenso wenig wie der Bundesbeauftragte für die Zwangsarbeiterentschädigung, Otto Graf Lambsdorff, zu den Drohungen äußern. Das Bonner Büro des Grafen Lambsdorff lehnte auf Anfrage jede Stellungnahme ab. Gibowski erklärte, wer die gegen ihn gerichteten Drohungen publiziere, mache sich zum „Handlanger“ der Unbekannten. Eine Veröffentlichung könne nur in deren Interesse liegen. Er bat, „das Thema einfach zu ignorieren“.
Mit Ausnahme von AFP scheint sich diese Argumentation auch bei einigen Redaktionen verfangen zu haben, die das Bekennerschreiben am Montag erhielten. So berichtete etwa die Agentur ddp über den Brandanschlag in Marienfelde und erwähnte das Bekennerschreiben – die „scharfen Patronen“ und die Namen der Bedrohten aber wurden ausgespart.
Eine vergleichbare Drohung durch die Zusendung scharfer Munition gab es im Frühjahr 1993. Damals wurde dem Leiter der Berliner Lokalredation der taz, Gerd Nowakowski, eine 9-mm-Patrone mit der Aufforderung zugesendet, er solle die Papiere einer Gruppe namens „Klasse gegen Klasse“ veröffentlichen. Die Gruppe drohte mit Knieschüssen. WOLFGANG GAST
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