: Eisbrecher südlich der Donau
Der Bayerische Rundfunk ergreift die Initiative: Auf der Tagung „Doku-tanic – Wohin steuert der Dokumentarfilm im öffentlich-rechtlichen Eismeer?“ wurden die akuten Probleme und langfristigen Perspektiven eines „verwahrlosten Genres“ debattiert
aus München THOMAS PAMPUCH
Wird Bayern zum Eldorado des Dokumentarfilmes? Zumindest wird derzeit südlich der Donau am meisten über die Zukunft dieses Genres nachgedacht, diskutiert und auch dafür gekämpft. Gab es vor einem Monat in München ein hochkarätig besetztes Symposium zum Thema „Mit Dokumentarfilmen reich werden?“ (Antwort: eher nicht – die taz berichtete), so rief nun der Bayerische Rundfunk selbst zu einer Rettungsaktion für den großen und künstlerischen Dokumentarfilm.
Der nämlich ist auch bei den Öffentlichen bedroht, weshalb man der Veranstaltung im Münchner Literaturhaus den Titel „Doku-tanic – Wohin steuert der Dokumentarfilm im öffentlich-rechtlichen Eismeer?“ gegeben hatte. Dass ausgerechnet an diesem Tag die Meldung durch die Presse ging, ausgerechnet die „Johannes B. Kerner Show“ solle künftig viermal pro Woche gesendet werden, unterstrich die Dramatik der Lage. Und so befürchtete die Moderatorin der Veranstaltung, Simone Stewens, Leiterin der Redaktion „Film und Teleclub“ beim Bayerischen Rundfunk, zu Recht die „Verwahrlosung eines Genres“. Zwölf Podiumsteilnehmer aus Redaktionsstuben wie aus der Doku-Praxis waren aufgeboten, dagegen ein Zeichen zu setzen. Ein ziemlich einmaliges Ereignis öffentlich-rechtlicher Selbstanklage mit gleichzeitiger Selbstverteidigung.
Die Gefahren für den guten Dokumentarfilm sind vielfältig und lauern zunehmend auch in den großen Fernsehanstalten: Dazu gehört für die BR-Redakteurin Renate Stegmüller zum Beispiel der Trend zum „gestanzten Häppchen“ eines „McDonald’s-TV“, das sich nur an „Formaten“ orientiere. „Man kann ein Genre aber auch dadurch ruinieren, dass man es auf unerreichbare Sendeplätze verbannt. Oder die Sendeplätze mit zu wenig Geld ausstattet.“ So werde die schlechte Quote selbst produziert: Die Budgets für Dokumentarfilme sind in den letzten Jahren dramatisch gesunken, die Drehtage reduziert, die Produktionsbedingungen insgesamt immer schlechter geworden.
ARD-Chefredakteur Hartmann von der Tann, der sich – im Gegensatz zum Fernsehdirektor des BR – auf das Podium gewagt hatte, verteidigte tapfer die Politik des Ersten, das nun einmal ein „Mehrheitsprogramm“ sei. Er wies aber auch auf die zwölf großen Dokumentarfilme pro Jahr hin, die es neben den kleineren Doku-Reihen in der ARD gebe. Auf eine Orientierung an der Quote könne man nicht verzichten.
Was also tun, damit der „Große Dokumentarfilm“ nicht an den Quoteneisbergen zerschellt und versinkt? Der Produzent und Regisseur Christian Bauer vertrat die Losung „Weniger ist mehr“: Die Zukunft liege in wenigen, dafür aber „opulenten, gut recherchierten und gut ausgestatteten Filmen. Das Publikum wolle den aufwendigen Dokumentarfilm, nur der könne sich auch international behaupten. Dem stimmte von der Tann zu und empfahl den Redaktionen, „sich mehr unternehmerisch und kaufmännisch“ zu verhalten.
Ganz so stromlinienglatt wollten es die versammelten RedakteurInnen aber doch nicht haben. Immerhin, so wurde bemerkt, hätten die Dritten Programme ja auch noch einen Auftrag. Entscheidend seien die richtigen Themen und Inhalte. Wer aber legt die fest?
Claas Danielson von der Arbeitsgemeinschaft der Dokumentarfilmer „ag.dok“ regte an, die Redaktionen sollten Ausschreibungen zu den Themen machen, die sie haben wollten. Damit traf er den Kern des Problems. Wenn die Debatte eine Erkenntnis gebracht hat, dann die, dass der Dokumentarfilm nur zu retten ist, wenn Redaktionen und Macher an einem Strang ziehen, wie es der Regisseur Andres Veiel („Black Box BRD“) forderte. Das aber bedeutet vor allem, beim Publikum das Interesse für das Genre zu erhalten – oder neu zu wecken.
Auch wenn es niemand offen aussprach: Es könnte sein, dass die Verhunzung der Sehgewohnheiten in der heutigen Fernsehlandschaft die größte Gefahr darstellt. Da ist es ein hoffnungsvolles Zeichen, wenn sich Redakteurinnen und Redakteure öffentlich zu ihrer Verantwortung bekennen: „Wir können unser Publikum herausfordern oder es entmündigen, auf jeden Fall haben wir die Zuschauer, die wir hervorbringen.“
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