Ihr Freispruch betrübt die Pazifisten

Das Berliner Kammergericht sprach gestern in letzter Instanz zwei Kriegsgegner frei, die Bundeswehrsoldaten während des Kosovo-Krieges zur Fahnenflucht aufgerufen hatten. Einer der Appelle war auch in der taz erschienen

Die beiden Angeklagten sind mit dem Urteil nicht zufrieden. Dabei klingt, nüchtern betrachtet, alles ganz gut: Der eine Angeklagte ist freigesprochen worden; bei dem anderen wurde die vom Staatsanwalt beantragte Revision abgewiesen und damit ein vorheriger Freispruch bestätigt. Die Angeklagten Volker Böge und Ralf Siemens müssten also eigentlich erfreut sein über die zwei Urteile, die das Berliner Kammergericht gestern gefällt hat. Sie sind es aber nicht.

Denn Volker Böge und Ralf Siemens wollten mehr als jeweils nur ein kleines Urteil, das ihren individuellen Fall betrifft und das irgendwo in den Aktenschränken der Justiz verschwinden wird, ohne nennenswert politisches Aufsehen zu erregen. Nein, diese Angeklagten wollten, dass hier sehr viel Größeres verhandelt werde, etwas von gesamtgesellschaftlicher, ja weltpolitischer Relevanz: die Frage nämlich, ob der Kosovo-Einsatz der Nato im Jahre 1999 eine völkerrechtliche Legitimation hatte oder nicht. Doch das Kammergericht hat sich geweigert, diesen Streit zu führen.

Stattdessen wurde hier – wie schon in vorangegangenen Amts- und Landgerichtsurteilen – lediglich im Einzelfall entschieden, ob Böge und Siemens nun tatsächlich einer Straftat wegen eines im März 1999 erfolgten Aufrufes zur Desertion schuldig seien. Zu den Anklagen war es gekommen, weil Ralf Siemens nach einer Durchsuchung des Büros der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär die Verantwortung für ein von der Kampagne herausgegebenes Plakat übernommen hatte. Auf dem Plakat waren alle kriegsführenden Soldaten des Nato-Einsatzes gegen Jugoslawien zur Desertion aufgerufen worden. Volker Böge ist ein Unterzeichner des „Aufrufs an alle Soldaten der Bundeswehr“, den auch die taz im April 1999 veröffentlichte. Dort wurde ebenso zur Fahnenflucht aufgerufen.

Sowohl Siemens als auch Böge waren damals in erster gerichtlicher Instanz wegen „öffentlicher Aufforderung zu Straftaten“ zu Geldstrafen verurteilt worden. Als rechtlicher Hintergrund für die Strafverfolgung diente die Auffassung, dass Soldaten der Bundeswehr die Truppe grundsätzlich nicht verlassen dürften. Desertion „stellt auch für den Fall eines völkerrechtswidrigen Einsatzes eine rechtswidrige Tat dar“, so die Argumentation der Staatsanwaltschaft in der ersten Instanz. Und daher brauche auch nicht geprüft werden, ob der Nato-Einsatz rechtens war.

Das Kammergericht ließ sich dagegen in dem gestrigen Verfahren der zweiten und dritten Instanz überhaupt nicht auf dieses brisante Thema ein. Volker Böge wurde freigesprochen, weil der Aufruf nur als ein „kritischer Beitrag in einem aufgeheizten Klima der öffentlichen Diskussion“ zu werten sei, erklärte der Richter. Und mit dieser Begründung wies er auch die Revision der Staatsanwaltschaft zurück, die einen schon in zweiter Instanz erfolgten Freispruch des Landgerichts für Siemers hatte rückgängig machen wollen. Eine Revision ist nicht mehr möglich. Ein Berliner Gericht wird nicht darüber entscheiden, ob der Kosovo-Krieg gegen das Völkerrecht verstieß. KIRSTEN KÜPPERS