Djindjić liefert sich aus

Der Konflikt zwischen dem serbischen Premier und Präsident Koštunica bedroht die Föderation mit Montenegro

aus Belgrad ANDREJ IVANJI

Besorgt, ernst und verärgert wandte sich Jugoslawiens Präsident Vojislav Koštunica Donnerstagnacht über das staatliche Fernsehen an das Volk. Die Auslieferung seines Amtsvorgängers Slobodan Milošević an das Haager UN-Tribunal für Kriegsverbrechen sei „verfassungs- und gesetzwidrig“ verlaufen. Die „überhastete“, „erniedrigende“ und „undemokratische“ Vorgehensweise sei ein schwerer Rückschlag für den Rechtsstaat und erinnere an die Politik aus der Ära Milošević. Als Bundespräsident werde er nun alles tun, um die Einheit Jugoslawiens zu bewahren.

Viele Bürger Serbiens hörten dem beliebten Präsidenten gerührt zu. In der Sommernacht konnte man laut aufgedrehte Fernseher durch geöffnete Fenster hören. Natürlich sei Milošević ein Verbrecher, der bestraft werden müsse, diskutierten aufgeregte Menschen in Belgrader Kneipen. Aber so? Und dann noch an das Gericht im Haag ausgeliefert, diesen verlängerten Arm der amerikanischen Expansionspolitik! Djindjić sei ein Kriecher und Heuchler und habe kein bisschen Stolz.

„Dies war die schändlichste Tag in der Geschichte der serbischen Diplomatie und Staatlichkeit“, erklärte Borislav Pelević, Vorsitzender der nationalistischen Partei der „Serbischen Einigkeit“. Führer der Milošević-Sozialisten sprachen von einem „Verfassungsputsch“. Sie kündigten Massendemonstrationen in der jugoslawischen Hauptstadt an.

Ob Koštunica das will oder nicht – die Proteste der radikalen Nationalisten und der Milošević-Anhänger stehen von nun an unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten. Koštunica hatte sich mit der Auslieferung jugoslawischer Staatsbürger an das Haager Tribunal zwar einverstanden erklärt, doch der Legalist bestand auf dem Rechtsweg– und das jugoslawische Verfassungsgericht hatte das Auslieferungsdekret am Donnerstag außer Kraft gesetzt. Vor allem muss es Koštunica geärgert haben, dass ihn Djindjić nicht über seine Absichten informiert hatte, sich über das Urteil hinwegzusetzen.

Jetzt steht in Serbien ein Machtkampf zwischen Koštunica und Djindjić bevor. Der serbische Premier hat es geschafft, den größten Teil der staatlichen Institutionen unter seine Kontrolle zu bringen. Djindjić’ Vertraute stehen an der Spitze der wichtigsten Ministerien. Koštunica kann als Präsident eines nicht mehr funktionsfähigen Bundesstaats nur auf seine persönliche Autorität bauen: Er ist der weitaus populärste Politiker. Schon vor der Auslieferung Milošević’ forderten Vertreter von Koštunicas „Demokratischer Partei Serbiens“ (DSS) immer öfter vorgezogene Parlamentswahlen. Nach allen Umfragen würde Koštunica überlegen gewinnen. Die mühevoll erhaltene Einigkeit des serbischen Regierungsbündnisses DOS mit einen 18 Parteien droht über den Streit um Milošević’ Auslieferung zu zerbrechen.

Djindjić demonstrierte Macht, Mut und Entschlossenheit. Er wollte sich auf das zeitraubende Katz-und-Maus-Spiel im Paragraphendschungel nicht einlassen. Jugoslawien sei ein Mitglied der UNO, also habe es mit dem Haager Tribunal als einer UNO-Institution zusammenzuarbeiten. Basta. Durch die notwendigen, aber für die verarmte Bevölkerung schmerzhaften Reformen hat er sich aber schon unpopulär genug gemacht. Nun übernahm er auch noch die politische Verantwortung für die Auslieferung von Milošević – überzeugt, im besten Interesse Serbiens zu handeln.

Außerdem steht die Föderation zwischen Serbien und Montenegro vor dem Zerfall. Als jugoslawischer Präsident könnte Koštunica also bald arbeitslos werden. Die Bundesregierung ist bereits zerbrochen: Der von der montenegrinischen Sozialistischen Volkspartei gestellte jugoslawische Ministerpräsident Zoran Žižić kündigte gestern Abend das Bündnis mit Djindjić’ DOS auf und erklärte seinen Rücktritt. Als Grund gab er an, die Auslieferung Milošević’ nach den Haag sei von der DOS „verfassungswidrig“ beschlossen worden.

Die meisten Serben sind dafür, dass Milošević bestraft wird – aber vor einem serbischen Gericht und für das Unrecht, das er den Serben angetan hat. Von Völkermord und Kriegsverbrechen will kaum jemand etwas wissen. Von Vergangenheitsbewältigung kann nicht die Rede sein. Selbst im bürgerlichen Belgrader Kultradiosender „B 92“ konnte man hören: Wenn Slobodan Milošević wegen Kriegsverbrechen angeklagt wird, dann müsse auch der bosnische Expräsident Alija Izetbegović nach Den Haag.