piwik no script img

Nacht der tanzenden Leiber

Das Salsaorchester Africando lässt nicht nur die Afro-Latino-Tradition wieder aufleben – es vermag sogar Tote wieder ins Leben zurückzuholen. Eine Besichtigung in Berlin

Ein vor Lebendigkeit nur so strotzendes Konzert direkt neben der „Körperwelten“-Ausstellung, Gunther von Hagens’ rollender Leichenschau – das hat fast etwas von einer Provokation. Während schon die ersten im luftigen Outfit am Kassenhäuschen des Berliner Tempodrom-Zelts Schlange stehen für Africando, den Salsaact aus New York, laden direkt daneben immer noch Busse ihre Passagiere aus für die Ausstellung im angrenzenden Gebäude. Einige scheinen aber auch zuerst Tote gucken („Darf man das?“) und dann zum Africando-Auftritt gehen zu wollen.

Neben Friedhöfen tanzt es sich bekanntlich ja besonders schön. Und Africando hat ziemlich viele angelockt, die sonst in verschwitzten Berliner Fabriketagen Stunden nehmen, um sich mal so richtig schön beim Tanzen anzufassen. Ich persönlich als ungeschickter, in späten 70er-Discos sozialisierter Einzelkampftänzer, lehne Salsa leider ab. Aber zuschauen macht auch Spaß. Vor allem wenn Mann – auch gut so – nicht schwul ist.

Und dann ist da ja auch noch diese Band. Vorne stehen fünf Herren in schwarzen Anzügen mit Goldeinsprengseln, hinten mindestens noch mal 10 Musiker, einige davon mit salsatauglichen Blasgeräten bestückt. Dieses Rückgrat vor allem erzeugt den Groove, der bei den Salsasüchtigen ins Blut geht und sie zu schier übermenschlichen, Rock-’n’-Roll-artigen Drehungen und Pirouetten anregt.

Die Salsazutaten kommen bekanntlich aus Kuba, gebraut wurde die Musik in New York und dann in alle Welt exportiert – unter anderem nach Afrika, wo sie in den 70ern auf große Resonanz stieß. Das Africando-Orchester lässt diese traditionell guten, interkontinentalen Beziehungen wieder aufleben. Schon der Name hat dabei doppelte Bedeutung: „Africando“ bedeutet auf Wolof, einer der wichtigsten Sprachen Westafrikas, so viel wie „vereintes Afrika“. Für Spanischsprachige wiederum klingt es eher nach Afri-Canto – was so viel heißt wie „Afrika singt“.

Boncana Maiga, der Leiter und Arrangeur der Band, war von 1963 bis 1973 in Havanna unterwegs und hatte dort mit den Maravillas De Mali sogar eine eigene Kapelle. In den frühen Neunzigern fand er dann drei Mitstreiter, die ebenfalls dem Salsa verfallen waren und die bereit waren, der inzwischen fast vergessenen Afro-Latino-Connection wieder neues Leben einzuhauchen. Dafür kamen ihm familiäre Verbindungen zugute: So war die Schwester von Maiga mit dem Musiker Ronnie Baro verheiratet. Und der erhielt 1992 den alles entscheidenden Anruf. „Trommel mir die besten Salsaleute in New York zusammen!“ Daraufhin nahm Maiga den Flieger und sah schon bei der Landung in New York auf den Straßen nicht nur der Puertorican-Viertel die Menschen tanzen wie wild. Ab ging’s ins Studio.

Auch im Tempodrom-Zelt riecht es schon vom ersten Titel an ziemlich schweißig. Ich als Salsaforscher muss schon sagen: Vor allem die spärliche, den Sommergraden angemessene Kleidung hat ihre ganz eigenen Reize. Bei einigen Ladys probiere ich diesen kurzen, festen Blick, den ich mir als überzeugter Nichtsexist eigentlich schon mit 16 abtrainiert hatte. Und siehe da, es funktioniert: Salsafrauen, die mit Typen, stark wie Palmen, durch die Zeltleinen staksen, werfen mir heiße, heimliche Blicke zurück. „Wenn ihr nur wüsstet, wie schlecht ich tanze!“, denke ich bei mir.

„Mach doch mal ’nen Kurs“, rempelt da auch schon neben mir eine Frau ihrem Freund an.

Am Caipirinha-Stand ist mittlerweile die Hölle los – dabei schmeckt der Erdbeer-Daiquiri auch super. Ach, die Band! Hätten wir fast vergessen. Die Leadsänger wechseln sich ab, und in Phasen ohne Bläser kommen die afrikanischen Elemente besser raus. Dann fehlt nur die Africando-Version von „Aicha“ – das Khaled-Cover ist ihr größter Hit. Sehe ich da eine Leiche im Gebäude nebenan auferstehen und aus dem Fenster kucken?

ANDREAS BECKER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen