: Eine anerkannte Private
Mit der Universität Witten-Herdecke hat die Rektorenkonferenz gestern die erste Privatuniversität als Vollmitglied aufgenommen. Drei Gründe, warum dies den deutschen Hochschulen nur gut tun kann
von CHRISTIAN FÜLLER
Die Universität Witten-Herdecke ist eine private Universität. Das ist kein Grund, für die Aufnahme in die Rektorenkonferenz (HRK) zu plädieren? Das ist der erste und wichtigste überhaupt! Denn die deutsche Universität krankt an vielem, aber hauptsächlich an ihrer Staatlichkeit. Da kann es den versammelten Vorstehern von rund 250 staatlichen Einrichtungen in der HRK nur gut tun, wenn sie in jeder Sitzung mit einer privaten Universität konfrontiert werden. Als Vorbild, als selbstverständliches Kontrastmittel und mit ihrem unternehmerischen Impetus. Mit der Aufnahme der Witten-Herdecker in die Königsklasse der Rektorenkonferenz, also in die Gruppe der Universitäten und nicht etwa in die der „sonstigen Hochschulen“, wird im Jahr 2001 eine private Universität in Deutschland für voll genommen. Endlich.
1. Die Uni Witten ist eine private Universität
Die Anwesenheit des Wittener Rektors Walther Zimmerli im Plenum der HRK hat Esprit. Er wird die Unis stets daran erinnern, was sie ihrer Idee nach sein sollen: frei. Unis aber sind hierzulande praktisch staatliche Behörden. Bei jedem Eingriff von Wissenschafts- oder Finanzministern in ihre Einrichtungen jaulen Professoren und Studenten auf: Ihr vergeht euch an unserer Autonomie! Dabei haben sie sich längst eingerichtet in der Abhängigkeit von Vater Staat: Der definiert die Organisationsform der Hochschulen, er schreibt ihnen ihr Dienstrecht vor und alimentiert die Hochschulen, und zwar zu 99 Prozent. Der Staat reguliert die Uni, ja er mischt sich sogar in das Allerheiligste ständig ein: in Studienordnungen, in die Zulassung und Kontrolle ihrer Studenten. Kurz: die Unis sind durch und durch beamtig. Sie atmen den Geist dessen, der Preußen so abscheulich erfolgreich gemacht hat: Ihre Verwaltung – und damit alles das, was an Orten offenen Diskurses nichts verloren hat: Hierarchie, Befehl und Gehorsam, Aktenförmigkeit.
Man mag zu Konrad Schily, dem Gründer und wichtigsten Antreiber von Witten-Herdecke, stehen, wie man will. Seine Philippika aber wider „den staatlich bewirtschafteten Geist“ gehört zu den köstlichsten Büchern, die über die deutsche Uni erschienen sind. Und man braucht sich übrigens der Uni Witten in der HRK gar nicht schämen. Witten hat nicht den Hautgout, der privaten „Universitäten“ gewöhnlich anhaftet. Dass sie Ein-Fach-Schulen sind, Spezialeinrichtungen für Ökonomen, Kaderschmieden zur Herstellung von Profitgeiern. Witten kann einen fast kompletten Fächerkanon vorweisen. Und ihr künftiger Repräsentant bei der HRK, Walther Zimmerli, vertritt das Kernfach einer jeden richtigen Uni: die Philosophie.
2. Witten ist Vorbild für Uni-Finanzierung
Klar, wir rümpfen gern die Nase, wenn wieder eine Universität, die sich privat nennt, über Jahre hinweg staatliche Zuschüsse verschlingt. Oder auf Dauer nicht ohne Staatsknete auskommt. In Wahrheit ist es aber falsch, dafür die privaten Unis und jene zu verhöhnen, die sie betreiben. Der Skandal der deutschen Hochschulfinanzierung ist nicht, wie viel der Staat einschießt, sondern wie wenig die Industrie für die Bildung von Akademikern zu geben bereit ist. Kein Kneipengänger würde es wagen, mit Trinkgeld so zu knausern wie die deutsche Wirtschaft bei ihrem Sponsoring für Bildungseinrichtungen. Die Wirtschaft aber schafft das, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, ganz locker: Die Börse zukneifen – und trotzdem eine kesse Lippe über den schlechten Zustand der Bildung riskieren.
Die Uni Witten bekommt derzeit jährlich zehn Millionen Mark vom Land Nordrhein-Westfalen. Oder anders gesagt: Der Staat finanziert 18 Prozent des Etats der privaten Uni. Das ist viel Geld – aber es ist, andersherum betrachtet, auch ein geringer staatlicher Zuschuss dafür, dass es eine für jedermensch zugängliche Universität gibt. Keine private Volluniversität der Welt, auch nicht die Ivy-League-Unis der USA, so argumentieren die Wittener Universitätsmanager gerne, kommen mit einem so geringen staatlichen Anteil über die Runden. Das kann man Chuzpe nennen, aber es ist zugleich eine Wahrheit. Und ein echter Vorteil für die Staatskasse, dass wenigstens eine der Unis hierzulande es gelernt hat, auch privates Geld zu akquirieren – und so den Zuschuss aus dem Landeshaushalt in Grenzen zu halten.
Der Staat gibt das inzwischen auch selbst zu. Allerdings auf eine sehr verschämte Art. Der Kieler Landesrechnungshof der privaten Fachhochschule Wedel hat zweimal bescheinigt, dass sie vier Millionen Mark öffentlicher Mittel sehr effizient einsetzt. Sie sei eine „kostengünstige Alternative“ zu staatlichen FHs, meinen die strengen Kassenwärter – ohne den Befund aber zu veröffentlichen. Die private FH Wedel finanziert sich übrigens zu 58 Prozent aus staatlichem Geld.
Die Uni Witten, genauer ihre Studierenden haben derweil noch ein anderes Finanzierungskonzept mit Modellcharakter entworfen: Die Gebühren von rund 27.000 Mark für ein Studium in Witten. Sie bessern die Kasse der Uni auf, ohne jenen Effekt hervorzurufen, vor dem so vielen bei Studiengebühren bang ist: dass Studieren eine Frage des Gelbeutels und nicht der Begabung ist. In Witten kann jeder unabhängig von seinen aktuellen finanziellen Möglichkeiten studieren, sofern er die Aufnahmeprüfung besteht. Wer heute nicht bezahlen kann, holt das eben nach dem Studium nach – wenn die exzellente Ausbildung ihre Dividende in Form eines gut bezahlten Jobs abwirft.
3. Witten will eine Elite mit Bildung
Die Uni Witten macht das, was alle Unis irgendwie machen wollen, es aber wegen der engen staatlichen Regelungen nicht hinkriegen. Sie wählt sich ihre Studis selbst aus (übrigens mit Hilfe anderer Studenten), sie erhebt den Anspruch, sie hervorragend auszubilden, und sie bindet ihre Absolventen später als Ehemalige an sich. Die Studierenden werden dabei als künftige „Leistungselite“ betrachtet – ohne dass dies auf ein Scheuklappenstudium hinausliefe. Im Gegenteil: Die gerne verspottete Humboldt-Idee der Persönlichkeitsbildung kommt in Witten besser zum Tragen als an vielen staatlichen Unis. Es gibt kleine und feine Seminare, das gleichberechtigte Gespräch ist wichtig.
Zugleich hat die Uni das vielerorts so lieblos betriebene studium generale zu einer selbstverständlichen Einrichtung gemacht. Das Wittener studium fundamentale, von einer eigenen Fakultät organisiert, findet an einem Tag statt, an dem es sonst keine Seminare gibt. Und es zentriert sich nicht mehr um die üblich verdächtigen Fächer wie Philosophie oder Kunst – sondern es hat ein neuen Anspruch: Es soll die Sekundärtugenden von heute trainieren, die Schlüsselqualifikationen, von denen die coolen Duz-Bosse der New Economy schwärmen: kommunikative, reflexive und ästhetische Kompetenzen. Und während anderswo das studium generale eine schmückende, aber nicht dokumentierte Girlande ist, vermarktet Witten sein studium fundamentale anders: Es verleiht dafür einen eigenen Bachelor, wenn die Studis noch paar Zusatzseminare belegen.
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