„Betroffenen wird die Würde genommen“

■ Dokumentation: Was Hamburger SenatorInnen beschlossen, untersagte ein Oberlandesgericht

Als Eingriff in die Menschenwürde bezeichneten SPD und GAL noch bis vorige Woche das Einflößen von Brechmitteln bei mutmaßlichen DealerInnen, um diese zum Auskotzen im Magen versteckter Drogen zu bewegen. Trotz offensichtlichen Unbehagens von Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD) und den RegierungspartnerInnen der GAL beschloss die Koalition vorige Woche, künftig dennoch Brechmittel „zur Beweiserhebung“ zu verwenden. Der Senat rechtfertigt den Einsatz damit, dass es nun einen „mexikanischen Sirup“ gibt, den man selbst Kindern geben könne. Während diese das Getränk allerdings als Medikament zu sich nehmen, muss es bei Tatverdächtigen nicht zu deren Besten, sondern zwangsweise eingeflößt werden. Wie das vonstatten geht und wie das Oberlandesgericht Frankfurt das als bisher höchste richterliche Instanz im Jahre 1996 beurteilte, dokumentiert die taz mit Auszügen aus dem Urteil:

Der Sachverhalt:

Der Angeklagte weigerte sich, den Sirup zu trinken. Während zwei Polizeibeamte ihn zu Boden drückten, hatte die Ärztin eine Sonde durch die Nase in den Magen des Angekl. eingeführt, der sich wehrte, an Armen und Beinen niedergedrückt werden musste und dabei Prellungen an Stirn und Schulter erlitt. (Da er nur Flüssiges erbrach, spritzte die Ärztin ihm anschließend noch ein Mittel, das zwanghaftes Erbrechen auslöste.) Zu den Haftzellen ist er auf einem Aktenbock gerollt worden. Dort hat sich der Beamte angesichts seines Zustandes geweigert, den Angeklagten als haftfähig aufzunehmen.

Das Urteil:

Die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln soll den Beschuldigten zwingen, aktiv etwas zu tun, wozu er nicht bereit ist, nämlich sich zu erbrechen. Das ist nicht mit der allgemeinen Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren zu vereinbaren (...).

Das Auslösen eines Brechreizes stellt (...) die Herbeiführung einer körperlichen Funktionsstörung dar. Dass das psychische Wohlbefinden als Folge der Zwangsbehandlung erheblich herabgesetzt war, bedarf keiner weiteren Erläuterung (...). Der Vorgang einer Magenentleerung durch Erbrechen wird (...) für den Betroffenen in der Regel schon als sehr unangenehm empfunden. Im Falle der Zwangsauslösung des Erbrechens zur Sicherung von Mageninhalt kommen weitere entwürdigende Umstände hinzu. Die Zuführung kann nur mittels Magensonde erzwungen werden, was bei einem sich wehrenden Betroffenen eine Fixierung durch mehrere Personen und für längere Zeit erfordert. Das Erbrechen – ein im Normalfall der Intimsphäre zuzuordnender Vorgang – findet nunmehr in relativer Öffentlichkeit statt, wobei nicht der Erbrechende, sondern das Erbrochene im Mittelpunkt des Interesses steht. Dem Betroffenen wird in dieser Situation die Würde genommen. Er wird auf rechtsstaatswidrige Weise funktionalisiert und nur mehr dem Zweck des Hervorwürgens unterworfen (...).

Dieses rigide Vorgehen stand auch nicht im Verhältnis zu den Verdachtsmomenten, die zur Klärung anstanden. Nur das Verschluckte und daher keinesfalls größere Mengen an Betäubungsmitteln waren bei ihm zu vermuten. Es war von vornherein klar, dass ihm ein nicht allzu schwerwiegender Tatvorwurf zu machen sein würde. Dies praktisch mit allen zur Verfügung stehenden Miteln (...) zu betreiben, verbot sich daher auch bei einer einfachen Gegenüberstellung von Mittel und Zweck.

Ihr Ziel, Beweismittel für einen Prozess zu sammeln, erreichte die Polizei nicht. Wegen der Rechtswidrigkeit der Brechmittelgabe untersagte das OLG, die zutage geförderten Kokainbeutelchen zu verwerten. Wegen dieses Drogenhandels konnte der Angeklagte nicht verurteilt werden.