: Ein Brief an die Deutschen zeitigt Wirkung
Die Kinder französischer NS-Opfer rufen zum Protest gegen antisemitische Äußerungen des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad auf, der heute auf Staatsbesuch in Berlin weilt. Die Jüdische Gemeinde und mehrere antifaschistische Gruppen haben sich dem Aufruf mittlerweile angeschlossen
„Heute wenden wir uns an Sie, damit Sie am 10. und 11. Juli 2001 in Berlin zeigen, dass auch Sie die antisemitischen Äußerungen des syrischen Diktators verurteilen. Sagen Sie nein zum Besuch von Assad in Berlin.“ Dieser „Aufruf der Söhne und Töchter der deportierten Juden aus Frankreich an die Deutschen“ war kürzlich in mehreren Zeitungen zu lesen. Der Grund: Der syrische Präsident Baschar al-Assad wird heute Berlin besuchen.
Der Aufruf aus Frankreich wurde von NS-Opfer-Organisationen und antifaschistischen Gruppen aufgegriffen. Heute wollen unter anderem das Berliner Bündnis gegen IG-Farben, die Redaktion der antideutschen Zeitung Bahamas und die Berliner Mitglieder des „Auschwitz-Komitees in der BRD“ ihren Protest gegen die Visite des syrischen Staatschefs mit einer Kundgebung vor der Baustelle des Denkmals für die ermordeten Juden ausdrücken.
Auch die Jüdische Gemeinde zu Berlin unterstützt den Aufruf. Sie verurteile entschieden die antisemitischen und rassistischen Äußerungen von Assad, erklärte gestern der Gemeindevorsitzende Alexander Brenner.
Bei der Kundgebung soll Beate Klarsfeld sprechen, die gemeinsam mit ihrem Mann Serge für den Aufruf aus Frankreich verantwortlich zeichnen. Die beiden in Frankreich lebenden Schoah-Überlebenden haben in der Vergangenheit immer wieder mit spektakulären Aktionen auf die braunen Flecken auf der Weste mancher Politiker aufmerksam gemacht. International bekannt wurde Beate Klarsfeld 1969, als sie den damaligen Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger wegen dessen Nazivergangenheit ohrfeigte. Durch jahrelange Recherchen gelang es den Klarsfelds, untergetauchte NS-Täter zu enttarnen und vor Gericht zu bringen.
In diesem Engagement gegen die NS-Täter liegt auch ein Grund für ihren Protest gegen den syrischen Staatschef. „Die Assads haben ununterbrochen dem Nazi-Massenmörder Alois Brunner, einst rechte Hand von Eichmann, Schutz in Syrien gewährt“, heißt es in ihrem „Brief an die Deutschen“. Obwohl von der syrischen Regierung ein Aufenthalt Brunners in ihrem Land immer bestritten wird, kann nach unabhängigen Recherchen ein Aufenthalt Brunners in dem Nahoststaat zumindest für die letzten Jahrzehnte mittlerweile als gesichert gelten.
Die Assad-Kritiker werfen dem syrischen Staatschef auch vor, bei einer Papstaudienz im Mai mit seiner Behauptung, die Juden hätten sowohl gegen Jesus als auch Mohammed gekämpft, religiösen Antisemitismus verbreitet zu haben. Im März hatte Baschar al-Assad in einer Rede vor dem Gipfel der arabischen Staaten die israelische Gesellschaft beschuldigt, rassistischer als der Nationalsozialismus zu sein: „Es ist die israelische Öffentlichkeit, nicht nur die Führer, die selbst wie Nazis sind.“
Das Bündnis will die Normalisierung der deutsch-syrischen Beziehungen, v. a. auf wirtschaftlichem Gebiet, behindern. „Syrien und Deutschland: Gemeinsam sind sie unausstehlich“ heißt es im Aufruf. Über die Resonanz in Berlin macht man sich unter den AufruferInnen keine Illusionen. „Die Kritik an der syrischen Politik ist hierzulande marginal.“ Anders in Frankreich: Dort demonstrierten Ende Juni tausende in Paris und Marseille gegen Assad. PETER NOWAK
Die Kundgebung beginnt um 17 vor der Baustelle des Holocaust-Denkmals, Behrenstraße
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