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Kritik an „Maulheld“ Schröder

Auch SPD-Politiker widersprechen dem Kanzler: Sexualstraftäter „wegschließen – und zwar für immer“ gar nicht möglich. Opposition: Unverantwortliche Stimmungsmache

BERLIN ap ■ Kanzler Gerhard Schröder (SPD) erntet für seine Forderung nach lebenslangem Einsperren von Kinderschändern immer mehr Kritik – auch aus den eigenen Reihen.

Der niedersächsische Innenminister Heiner Bartling (SPD) betonte, Ersttäter ließen sich nach geltendem Recht nicht lebenslang wegschließen. Sinnvoller sei es, das „Prognose-Instrumentarium“ zu verbessern. Bartling sprach sich dafür aus, mehr Straftäter in der Gendatei zu erfassen und die Aufbewahrungsfristen zu verlängern. Der niedersächsische Justizminister Christian Pfeiffer (SPD) sagte: „Die Gesetze reichen aus, um Sexualstraftäter angemessen zu bestrafen.“ Er wies darauf hin, dass die Zahl der Sexualstraftaten Anfang der 70er-Jahre viermal höher gewesen sei als heute.

Die saarländische Justizministerin Ingeborg Spörhase-Eisel (CDU) warf Schröder Stimmungsmache vor. Wenn von Angehörigen der Opfer unter dem Eindruck des ersten Schmerzes derartige Äußerungen kämen, wäre das nachvollziehbar. Von einem Bundeskanzler, der dazu noch selbst Jurist sei, hätte sie sich aber andere Aussagen gewünscht, sagte Spörhase-Eisel. Man könne nicht eine Tätergruppe grundsätzlich vom Resozialisierungsziel des Strafvollzugs ausschließen.

Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) forderte Schröder erneut zum Handeln auf: „Wenn er das macht, ist alles in Ordnung, sonst ist es Maulheldentum und nicht mehr.“

FDP-Bundestagsfraktions-Vize Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kritisierte Schröders Forderung als unverantwortlich. Er erwecke damit bei den Bürgern den Eindruck, sie könnten kein Vertrauen in den Rechtsstaat und die Justiz haben. Nicht jeder Sexualtäter sei untherapierbar, sagte die FDP-Politikerin. Sie kritisierte, dass die Erfassung genetischer Fingerabdrücke nur schleppend vorangehe. Derzeit seien etwa 102.000 Datensätze gespeichert: „Dies schwankt zwischen den Bundesländern erheblich und zeigt bei SPD-regierten Ländern eher Erfassungen auf unterem Niveau.“

Der Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden, Rudolf Egg, meinte, ein lebenslanges Wegsperren hätte auf Sexualstraftäter keine allzu große abschreckende Wirkung. „Abschreckend wirkt eher das schnelle Erwischtwerden.“ Egg sprach sich dagegen aus, alle Sexualstraftäter therapeutisch zu behandeln. Es gebe Delikte, die nichts mit einer dauerhaften sexuellen oder persönlichen Störung zu tun hätten.

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