piwik no script img

Eiertanz des Kolumbus

Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle: Die Bürgerschaft debattierte gestern über das neue Handlungskonzept für St. Georg  ■ Von Peter Ahrens

Da steht ausgerechnet Manfred Mahr, der erzliberale Manfred Mahr, am Rednerpult und muss dem Parlament verkaufen, warum die GAL das so genannte Scholz-Konzept zu St. Georg mitträgt: Ein Konzept des SPD-Innensenators, das auch den Einsatz von Brechmitteln gegen Dealer vorsieht. „Ich spreche heute mit ambivalenten Gefühlen“, sagt Mahr und versucht anschließend die Quadratur des Kreises: Das Konzept verteidigen, die Brechmittel aber nicht mittragen. Mahr spricht davon, dass es ihm „fern liegt, das jetzt Erreichte als Ei des Kolumbus abzufeiern“. Bessere Vorlagen wie gestern in der Bürgerschaft kann die GAL nicht liefern. Leichtes Spiel für Regenbogen-Sprecherin Heike Sudmann: „Ein Brechmittel-Einsatz bei der GAL wäre tatsächlich sinnlos: Die GAL kann nichts mehr erbrechen, weil sie keine grünen Inhalte mehr hat.“

Die SPD tut sich leichter mit den Maßnahmen, die Scholz für den Hauptbahnhof angekündigt hat: „Das Konzept wird von der SPD voll und ganz mitgetragen“, sagt der innenpolitische Sprecher, Ingo Kleist. Und Scholz selbst hat gar kein Problem zu verkünden: „Für mich ist von zentraler Bedeutung, wie man die Strafverfolgung vo-rantrieben kann.“ Das Konzept zu St. Georg bereitet den Sozialdemokraten keine schlaflosen Nächte. Der GAL schon.

Der Landesausschuss der Partei hatte Dienstagnacht einen Kompromiss geschmiedet, der das Gesamtkonzept mit seinem Mix aus Repression und Hilfsangeboten billigt, den Einsatz von Brechmitteln aber ablehnt. „Welch ein Eiertanz“, musste sich Mahr als Zwischenruf aus der CDU anhören, als er dies gestern interpretierte: „Niemand in der Partei hat sich für Brechmittel eingesetzt, wir haben aber keine Möglichkeit gesehen, es zu verhindern, ohne die Hilfsangebote zu gefährden“, balancierte Mahr. Falls Brechmittel nicht die erwarteten Ergebnisse erbrächten, „dann wäre ein Festhalten an diesem Mittel unverantwortlich“, und auch ein Vertreiben der Drogenszene in andere Stadtteile werde die GAL nicht hinnehmen.

Für Sudmann ist so ein Seiltanz nicht nachzuvollziehen. „Brechmittel gehören zu dem Konzept wie die GAL zum Senat“, könne man dies nicht dividieren und sah einen rot-grünen Kniefall vor CDU und Schill. Und ihr Gruppenkollege Lutz Jobs sah eine „Kehrtwende hin zur Drogenpolitik der 80er Jahre“.

Die CDU konnte sich all dies zufrieden ansehen. Ihr Innen-Hardliner Heino Vahldieck ließ sich nicht nur die Gelegenheit entgehen, Mahr mit einem Debattenbeitrag aus dem Februar zu zitieren, in dem dieser Brechmittel-Forderungen der CDU als „kompletten Unsinn“ tituliert hatte. Er führte zudem aus, dass „die SPD zehn Wochen vor der Wahl plötzlich genau das Gegenteil von dem macht, was jahrelang als richtig galt“. Das sei hochgradig „opportunistisch“, ein Vorwurf, den auch sein Fraktionschef Ole von Beust erhoben hatte.

Da erwachte in Mahr doch noch kurzzeitig der Kampfgeist und er gab zurück: „Ausgerechnet von dem größten Opportunisten in diesem Parlament, Ole von Beust, kommt so ein Vorwurf.“ Mahr kassierte einen Ordnungsruf. Doch das war wohl das, was er gestern am ehesten verschmerzen konnte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen