: Freie Fahrt oder ungeteilte Erinnerung?
Überlebende kritisieren geplante Trassenführung der B 96 durch den Lagerkomplex des ehemaligen KZ Ravensbrück
BERLIN taz ■ Naturschutz, wirtschaftliche Interessen oder die Verantwortung vor der Geschichte – was zählt mehr? Seit Jahren schwelt der Streit um die Umgehungsstraße 96 im brandenburgischen Fürstenberg. Denn der geplanten Bundesstraße steht das Gelände des ehemaligen Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück im Wege. Nun schlägt die „Lagergemeinschaft Ravensbrück/Freundeskreis e.V.“ Alarm: Der 1996 gefundene Kompromiss, die Umgehungsstraße östlich des einstigen Lagerkomplexes zu bauen, stünde plötzlich zur Disposition, kritisierten Opfervertreter gestern in Berlin. Tatsächlich favorisiert das Brandenburgische Straßenbauamt Strausberg eine Linienführung durch den Lagerkomplex: Die so genannte Variante 4 würde das einstige „Jugendschutzlager Uckermark“, in dem in den letzten Kriegsmonaten rund 6.000 Frauen ermordet wurden, vom Stammlager Ravensbrück abschneiden. Eine Missachtung des historischen Ortes, kritisierte Barbara Reimann, selbst Überlebende von Ravensbrück.
Eine Trassenführung westlich des Geländes war bereits 1996 in einem Raumordnungsverfahren ausgeschlossen worden – wegen Umweltschutzbedenken und den Tourismusinteressen der Stadt Fürstenberg. Zwar hatte das Straßenbauamt zugestimmt, stattdessen noch einmal die östliche Umgehung (Variante 5) zu prüfen. Aber ihr stand die EU-Naturschutzrichtlinie Flora-Fauna-Habitat entgegen. Eine Ausnahmegenehmigung würde das Projekt um mehrere Jahre verzögern, fürchtet Thomas Heyne, Leiter des Straßenbauamtes.
Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, zu der das ehemalige Konzentrationslager Ravensbrück gehört, will nun für die Kompromissroute 4/5 werben. „Wir sehen unsere Rolle in der Verantwortung gegenüber dem kommunalen Umfeld“, sagte Stiftungssprecher Horst Seferens. Entscheidend sei, dass „der Gesamtzusammenhang der historischen Topografie erhalten bleibt“. Diese Linienführungschneide ebenfalls das Gelände des KZ Uckermark. Weitere Grabungen seien notwendig, so Seferens, um die tatsächliche Ausdehnung des KZ Uckermark zu bestimmen: „Aber es geht um einen Abwägungsprozess.“ Bis Ende des Jahres soll nun eine Lösung her. NICOLE MASCHLER
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