Eigenwillige Lebensträumer

Merkwürdig, skurril, absonderlich: Wer das Gesamtkunstwerk Bossard im Jesteburger Wald betritt, wechselt in eine andere Welt  ■ Von Peter Ahrens

Mitten im Wald. Unvermittelt öffnet sich die Lichtung, und darauf steht das seltsamste Haus im Landkreis Harburg. Eine Burg oder eher ein Schloss? Wohnung oder doch eher Museum? Park oder Nutzgarten? Oder gar Kultstätte? Schwer zu definieren, also hält man sich an die Formulierung, die die offizielle ist: Gesamtkunstwerk. Irgendwo hinter Jesteburg, da wo sich nur noch Fuchslöcher vermuten lassen, Unterschlupf für Reh und Hirsch, da wo die Asphaltwege längst aufgehört haben, da hat sich Johann Bossard seinen Lebenstraum in Stein gebaut. Bossard ist längst tot, sein Haus, die Kunststätte, die heute öffentlich zu besichtigen und zu besuchen ist, ist noch da. Ein Besuch ist ein Überwechseln in eine andere Welt, merkwürdig, skurril, absonderlich.

Als Bossard 52 Jahre alt war, ausgebildeter Bildhauer und Maler, Lehrer an der staatlichen Kunstgewerbeschule in Hamburg, entdeckte er diesen Flecken und fing im Jahr 1926 an zu bauen. Ein eigenwilliger Platz für einen eigenwilligen Menschen: Wenn man heute über das Gelände geht, durch die Räume spaziert, kann man nur vermuten, dass manche Mitmenschen ihn für einen schrägen Vogel gehalten haben müssen. An den Wänden seines Wohnhauses scheint jeder Zentimeter genutzt: Fantasiegestalten, Fratzen starren von ihnen herunter, Farbe überall, grell, bunt, man scheint eine Kathedrale aus Licht und Farbe zu betreten, einen Tempel. Die Frage, ob man sich hier behaglich fühlen könnte, stellt sich fast automatisch, wenn man weiß, dass Bossard und seine Frau Jutta hier jahrzehntelang gelebt haben.

Vor dem Wohnhaus, von dem nur Teile öffentlich zugänglich sind, steht der Trakt, der heute Museum ist: mit den Bildern, die Bossard gemalt hat, geprägt von den Stilen seiner Zeit, expressionistisch, ein wenig surreal auch. Und mit den Alltagsgegenständen, die die Bossards nicht profan irgendwo eingekauft und dann benutzt haben. Nein, von der Tischdecke bis zum Geschirr – alles Kunst, alles selbst gemacht, wer den Bossardschen Haushalt besucht hat, ist auf Schritt und Tritt auf die Berufung des Paares gestoßen: Alltag ist Kunst, Kunst ist Alltag, es gibt keine Trennung von Kunst und Leben. So konsequent, wie Bossard das in seinem Jesteburger Rückzugsgebiet ausgelebt hat, haben das wenige getan.

So ist der Garten, natürlich, kein normaler Garten. Vielmehr ein Raum, sich auszuruhen, zu flanieren und schöne Dinge anzuschauen wie die Skulpturen, die überall he-rumstehen. Wenn der Ausdruck lauschiges Plätzchen nicht so fürchterlich wäre, dann würde er passen.

Nach Bossards Tod hat seine Frau die Stätten gepflegt, hat das Museum aufgebaut und das Gelände der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Kunststätte ist heute Stiftung und gilt aus Außenstelle des Freilichtmuseums am Kiekeberg. Über das ganze Jahr verteilt gibt es zahlreiche Veranstaltungen, zum Beispiel am morgigen Sonntag einen großen Musiktag mit klassischer Musik.

Die Kunststätte Bossard ist über die Autobahn A 7, Abfahrt Thieshope, oder über die A 1, Abfahrt Dibbersen, Richtung Jesteburg zu erreichen. In Jesteburg selbst ist die Kunststätte ausgeschildert. Man kann von Harburg aus auch den Bus nach Jesteburg nehmen (sich dort stärken, denn in der Kunststätte gibt es keine Restauration) und mit einem etwa halbstündigen Spaziergang das Gelände erreichen. Öffnungszeiten März bis Oktober: dienstags bis freitags 9 bis 17 Uhr, samstags und sonntags 10 bis 18 Uhr. November bis Februar: dienstags bis sonntags 10 bis 16 Uhr. Informationen unter Tel.: 041 83/51 12.