piwik no script img

Deutschkurs abgestürzt

Bezirksbürgermeister in den vier Innenstadtbezirken wollen die „Mütter-Deutschkurse“ in ihren Volkshochschulen kippen. Dabei ist der Bedarf enorm. Forderung der Bürgermeister nach einem separaten Fonds, weil „gesamtstädtische Aufgabe“

von TILMAN STEFFEN

Niyazi Turgay wählt ungeschönte Worte: Eine Altlast sei sie, die ausländische Mutter, seit den Achtzigerjahren in Berlin, der Mann im Betrieb, die Kinder in der Schule, sie selbst ohne Job zu Hause, kaum oder gar keine Deutschkenntnisse. Eine Altlast, die nun „viel zu spät verarbeitet wird“. Turgay kann sich diesen Vergleich leisten. Er organisiert in Kreuzberg Sprachkurse für Mütter zugewanderter Familien. Der Bedarf ist enorm: Allein an der Volkshochschule Neukölln wurden 2001 bisher etwa 1.500 Frauen in rund 100 so genannten Mütterkursen unterrichtet. Im Herbstsemester kämen weitere 53 hinzu, sagt Schulleiter Leopold Bongart. Auch im Bezirk Mitte gab es seit 1999 etwa 100 Mütterkurse pro Jahr. „Die Kurse laufen blendend“, sagt Schulchef Michael Weiß.

Tatsächlich sind die der Gastarbeitergeneration angehörenden Frauen über Jahrzehnte hinweg als migrationspolitische Randerscheinung ignoriert worden. Erst 1999 richteten die Volkshochschulen Deutsch-Mütterkurse ein. Die Frauen kamen vormittags, während ihre Kinder in der Schule waren, für einen symbolischen Kursbeitrag von 20 Mark. Die Gesamtkosten des Mütterunterrichts liegen bei fast 2 Millionen Mark.

Woher das Geld ab 2002 kommen soll, ist unklar: Die bezirksübergreifende Finanzierung dieser Kurse in Mitte (Wedding und Tiergarten), Kreuzberg, Schöneberg und Neukölln ist durch den Rat der Bezirksbürgermeister aufgekündigt worden. Den fünf zentrumsnahen Schulen dürfte damit ab 2002 ein erheblicher Teil ihres Budgets fehlen. Nach einem Senatsbeschluss hatten bisher alle Bezirke je nach Bevölkerungsanteil auf einen Teil ihrer Landeszuweisungen zu verzichten, um den Sprachuntericht in den multinational bewohnten Innenstadtbezirken zu bezahlen. Dieser Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung beschwor den Unmut der Bürgermeister herauf. Die Volkshochschulen der Randbezirke waren zusätzlich sauer, da der finanzielle Aderlass teilweise zu Lasten ihrer eigenen Bildungsangebote ging.

Denn zur Finanzierung der Mütterkurse hatte jeder Bezirk mehr als 100.000 Mark aus seinen Senatsgeldern abzutreten. Die Bezirksbürgermeister fordern vom Senat nun einen „sozialstrukturellen Interventionsfonds“, da es sich bei den Kursen um eine „gesamtstädtische Aufgabe handelt“, sagt der Bezirksbürgermeister von Steglitz-Zehlendorf, Herbert Weber.

Einigen sich Bezirke und Senat nicht, ist der Mütter-Sprachunterricht ab 2002 passé. Schulsenator Klaus Böger und Innensenator Ehrhart Körting (beide SPD) bekennen sich zumindest politisch zu den Müttern: Nach der Oktober-Wahl wolle man aktiv werden, um die für die Einbürgerung so wichtigen Kurse weiter zu ermöglichen.

Rita Süssmuth, Präsidentin des Deutschen Volkshochschulverbandes in Bonn, beklagte jetzt das Fehlen ausreichender öffentlicher Mittel für Sprachkurse. Doch Abhilfe von höherer Ebene ist fern: Das geplante Sprachförderkonzept des Bundes ist um ein Jahr verschoben: auf 2003.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen