: „In zwei Jahren haben wir dieselbe Diskussion noch mal“
Hans-Jürgen Oels, Fachbereichsleiter Verpackung beim Umweltbundesamt in Berlin, zu den Konsequenzen der am Bundesrat gescheiterten Verpackungsnovelle
taz: Herr Oels, eine Selbstverpflichtung der Industrie habe mehr ökologische Lenkungswirkung als der Trittin-Vorschlag, argumentierte Nordrhein-Westfalens Regierungschef Clement im Bundesrat. Hat er Recht?
Hans-Jürgen Oels: Schon in den Achtzigerjahren gab es bei den Getränkeverpackungen eine Reihe von Selbstverpflichtungen. Alle sind gescheitert. Die Wirtschaft versprach damals etwa, keine großvolumigen Einweg-Plastikflaschen auf den Markt zu bringen. Genau das hat sie dann aber getan. Deshalb brachte die schwarz-gelbe Bundesregierung damals eine Pfandverordnung auf den Weg. Innerhalb eines halben Jahres verschwanden alle Plastik-Einwegflaschen vom Markt. Eine beeindruckende Lenkungswirkung, wie ich finde.
Warum existiert diese Verordnung nicht mehr?
Weil sie nur Getränke betraf. Sie wurde zu Gunsten einer generellen Verpackungsverordnung zurückgestellt, die dann 1991 eingeführt wurde. Im Konsens mit der Industrie besagt diese, dass eine Mehrwegquote von 72 Prozent erhalten bleiben muss. Andernfalls wird das Zwangspfand eingeführt.
Die Verpackungsverordnung beinhaltet demnach auch Elemente einer Selbstverpflichtung der Industrie?
Jein. Eine Selbstverpflichtung ist eben keine von der Politik erlassene Verordnung. Richtig ist aber, dass die Verpackungsverordnung der Wirtschaft einen gewissen Spielraum gegeben hat, gleichzeitig aber sagt, wenn du die Latte reißt, tritt ein Sanktionsmechanismus in Kraft: das Pflichtpfand.
Jetzt ist die Latte gerissen. Wie wird der Mechanismus in Gang gesetzt?
Im Prinzip automatisch. Voraussetzung ist, dass die Bundesregierung die Ergebnisse der Kontrollmessungen veröffentlicht. Ergibt diese Messung eine Unterschreitung der Quote, haben wir sechs Monate später das Zwangspfand. Bislang aber hat die Regierung die Ergebnisse nicht veröffentlicht.
Warum nicht?
Weil sie sich gesagt hat, wenn wir eine vernünftigere Lösung als die in der Verpackungsverordnung beschriebene finden, ist der ganze Veröffentlichungsmechanismus obsolet. Diese vernünftigere Lösung fand nun aber im Bundesrat keine Mehrheit. Stattdessen muss sich die Bundesregierung mit dem Gegenvorschlag des Bundesrates befassen.
. . . der die jetzt vorgeschriebene Mehrwegquote durch eine geringere Mindestabfüllmenge ersetzt.
Genau, der Vorschlag legt die Latte tiefer – von 72 Prozent ökologischer Verpackung auf unter 68. Der Sanktionsmechanismus Zwangspfand aber bleibt erhalten. Das bedeutet: In zwei Jahren haben wir dieselbe Diskussion noch mal.
Was würde das für andere Verordnungen, etwa die zum Elektroschrott oder zu den Altautos, bedeuten?
Kein Mensch nimmt die dann mehr ernst. Alle könnten sich mit dem Wissen zurücklehnen: Wenn es zum Casus knacksus kommt, können wir uns immer noch mit neuen Verhandlungen rausmogeln. Die Reihenfolge stimmt einfach nicht mehr. Wenn es ein neues Umweltproblem gibt, erhalten nach dem Subsidiaritätsprinzip zuerst die Beteiligten die Möglichkeit, dieses in den Griff zu bekommen. Scheitern sie, erlässt die Politik eine Verordnung, die die Lösung des Problems erzwingt.
Was spricht dagegen, die Kontrollmessungen jetzt zu veröffentlichen?
Wirtschaftskreise haben beim Verwaltungsgericht Berlin ein Verfahren angestrengt, das der Regierung per einstweilige Anordnung die Veröffentlichung der Ergebnisse untersagt. Ich bin Physiker, kein Jurist, weiß nicht, wie das Verfahren ausgeht. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die Regierung den Vorschlag des Bundesrates akzeptiert. Schließlich haben sich 70 Prozent der Bevölkerung für Trittins Vorschlag ausgesprochen. INTERVIEW: NICK REIMER
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