: Explosive Post aus der Schweiz
In der „Leuna-Affäre“ erklärten sich die Staatsanwaltschaften der Länder bislang für nicht zuständig. Nun wird sie zu einem Fall für den Generalbundesanwalt Kay Nehm. In den nächsten Tagen erhält er brisantes Material aus Genf
BERLIN taz ■ Die hartnäckige Nachhilfe aus der Schweiz zeigtendlich Wirkung – die Aufklärung der „Leuna-Affäre“ wird zu einem Fall für Generalbundesanwalt Kay Nehm. Der oberste Ermittler der Republik erhält in diesen Tagen rund 60 Aktenordner aus Genf. Mit brisantem Inhalt: Die Schweizer Staatsanwaltschaft liefert deutliche Hinweise auf Verstrickungen deutscher Politiker in die Bestechungsaffäre rund um den Verkauf der ostdeutschen Leuna-Werke an den französischen Mineralölkonzern Elf Aquitaine.
Insgesamt sollen bei dem Geschäft rund 80 Millionen Mark an „Provisionen“ geflossen sein. Noch nicht bewiesen ist bisher, ob dabei auch Schmiergelder an die CDU gezahlt wurden.
Schon seit Jahren hatte der Genfer Generalstaatsanwalt Bernard Bertossa seine Erkenntnisse der deutschen Justiz angeboten. Doch die Staatsanwaltschaften der Länder erklärten sich immer wieder für unzuständig (siehe Kasten).
Wegen der anhaltenden Untätigkeit seiner deutschen Kollegen schrieb Bertossa Ende Juni einen Brief an Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD). „Wir haben uns freundlich bedankt“, sagte Däubler-Gmelins Sprecher gestern der taz, „und darum gebeten, die Unterlagen an den Generalbundesanwalt zu übermitteln.“ Damit wird sich nun nun erstmals eine Bundesbehörde mit der Leuna-Affäre befassen. Generalbundesanwalt Nehm müsse nun entscheiden, ob seine Zuständigkeit berührt sei, sagte Däubler-Gmelins Sprecher. Eine offizielle Anweisung der Justizministerin an den Generalbundesanwalt gebe es nicht. Im Justizministerium legt man aber Wert darauf, dass der „ärgerliche Zustand der Nichtermittlungen beendet wird“.
Bisher habe man in Berlin wenig tun können, sagte Däubler-Gmelins Sprecher. Erst nachdem sich Bertossa direkt an die Justizministerin gewandt hatte, habe diese handeln können.
Zu den Aktivitäten auf höchster Ebene dürfte auch ein Bericht der Zeit beigetragen haben, die vor gut einer Woche ausführlich über die zähen Ermittlungen im Fall Leuna berichtet und die Untätigkeit der deutschen Behörden angeprangert hatte: „Diesen Leuten sollte Feuer unter den Roben gemacht werden“, schrieb die Zeit. Aus dem Justizministerium hieß es dazu nur, auch die Berichterstattung der Medien habe den Unmut über das Nichthandeln zum Ausdruck gebracht.
Unklar bleibt, ob der Generalbundesanwalt eigene Ermittlungen aufnehmen wird. „Ich bin auf jeden Fall dafür, dass das jetzt zentral gemacht wird“, sagte der SPD-Obmann im Parteispenden-Untersuchungsausschuss, Frank Hofmann, gestern der taz. Der FDP-Obmann im Ausschuss, Max Stadler, forderte eine sofortige Entscheidung über die Zuständigkeit bei der Justiz: „Am besten wäre das Ermittlungsverfahren bei der Bundesanwaltschaft aufgehoben.“
SPD-Fraktionschef Peter Struck übte gestern scharfe Kritik an dem bisherigen Verhalten der Justiz: „Ich habe überhaupt kein Verständnis für Staatsanwaltschaften, die sich Akten hin und her schicken mit der Zielrichtung, sie nicht bearbeiten zu müssen“, sagte Struck.
Nicht nur die juristischen Ermittlungen könnten durch die Schweizer Akten endlich voran kommen, auch der Untersuchungsausschuss des Bundestags erhofft sich neue Erkenntnisse. „Wir wollen die Akten auf jeden Fall haben“, sagte Hofmann. Der Ausschuss werde schon heute einen Antrag auf Akteneinsicht stellen. Ausschuss-Chef Volker Neumann (SPD) hofft, dass die Akten auch Namen von Schmiergeldempfängern enthielten.
Die Schweizer haben auf jeden Fall gründliche Vorarbeit geleistet. In einem detaillierten Schaubild dokumentierten sie die finanziellen Transaktionen, auf die sie bei ihren Ermittlungen im Fall Elf Aquitaine gestoßen waren. Doch immer wenn vermutete Schmiergelder nach Deutschland flossen, kamen die Genfer Ermittler nicht weiter. An dieser Stelle müssten die Deutschen weiter recherchieren, fordert Bertossa seit langem. Jetzt scheint er endlich gehört zu werden. LUKAS WALLRAFF
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