piwik no script img

Und die Witwe des Helden schweigt

Emilie, die frühere Ehefrau des Judenretters Oskar Schindler, hat nach dem Krieg in Argentinien gelebt. In Berlin möchte sie nun ihre letzten Jahre verbringen. Die Schüler der Oskar-Schindler-Oberschule in Hohenschönhausen wollen sich um sie kümmern

von KATJA BIGALKE

Eine zerbrechliche Gestalt wird auf einem Rollstuhl zu einer Pressekonferenz geschoben. Weiß Emilie Schindler, wo sie ist? Die 93-Jährige zieht die Stirn in Falten, als sie an den Tisch gerollt wird, auf dem bereits unzählige Mikrofone lauern. Da sitzt sie in ihrem blauen Blumenkleid, die Beine in den Nylonkniestrümpfen baumeln müde herunter. Sie blickt fragend zu ihrer Begleiterin Erika Rosenberg. Dann beginnt die Pressekonferenz. Es soll um die Person Emilie Schindler gehen: um die Witwe Oskar Schindlers, des deutschen Unternehmers, der im Zweiten Weltkrieg 1.200 Juden gerettet hat.

Emilie Schindler hat eine lange Geschichte im Schatten ihres Mannes hinter sich. Während ihr Mann posthum durch Spielbergs Film Ruhm erlangte, führte sie ein einsames Leben in einem Häuschen bei Buenos Aires – trotz ihrer 45 Katzen und zwei Hunde. In Spielbergs Film erscheint die alte Dame lediglich in der Schlusssequenz, in der sie nach jüdischer Sitte einen Stein auf das Grab ihres Mannes legt. Dabei hatte sie seinerzeit nicht nur an der Seite ihres Mannes gestanden, sondern auch selbst gehandelt. „Im Januar 1945 hat sie 320 jüdische Frauen und Männer in ihrem Betrieb in Brünnlitz aufgenommen“, sagt Erika Rosenberg, die zugleich ihre Biografin ist. Sie hatte selbst entschieden, die in einem Zug Richtung Vernichtungslager eingesperrten Menschen als Arbeitskräfte anzunehmen. Ihr Mann war geschäftlich unterwegs. Bei einer benachbarten Mühlenbesitzerin habe sie Essen besorgt. Im Hof habe sie die ausgehungerten Menschen gepflegt. „Sie hat immer von ‚meinen Leuten‘ gesprochen“, sagt Rosenberg.

Die 50-jährige Journalistin hatte Emilie Schindler vor elf Jahren im Rahmen von Recherchearbeiten zu ihrem Mann kennen gelernt. „Wir sind gute Freundinnen geworden“, sagt sie. Samstags hat sie die alte Dame besucht und lange Gespräche mit ihr geführt. „Da hat sie viel von ihrem Leben erzählt, auch von Dingen, die gar nicht in eine Biografie gehören. In gewisser Weise hat sie so auch ihre eigene Geschichte verarbeitet.“

Zwei ähnliche und doch sehr gegensätzliche Geschichten verbinden die beiden Frauen. Erika Rosenberg ist 1951 als Tochter deutscher Juden in Argentinien geboren. Ihre Eltern konnten 1936 fliehen. Emilie Schindler war mit ihrem Mann 1949 nach Argentinien ausgewandert. Der kehrte 1958 nach Deutschland zurück und ließ seine Ehefrau allein zurück. „Emilie ist so etwas wie die Frau auf der anderen Seite“, sagt Erika Rosenberg. Mit ihrer Biografie „Ich, Emilie Schindler“, die sie im Oktober auf der Frankfurter Buchmesse vorstellen wird, wolle sie als Frau der nicht anerkannten Leistung einer Frau Gehör verschaffen.

Seitdem hört man etwas von ihrer Freundin, für die sie eine Deutschlandreise organisiert hat. Emilie Schindler spricht kaum noch. Während Erika Rosenberg die Fragen anstelle ihrere Nachbarin beantwortet, schaut sie immer wieder zu ihrer Freundin, reicht ihr ein Taschentuch, gibt ihr ein Glas Apfelsaft. Ja, Emilie sei glücklich in Deutschland zu sein, sagt sie. Das war immer ihr Traum, wieder in ihre Heimat zurückzukehren: „‚Ein großes, schönes Land‘ hat sie gesagt“, sagt Rosenberg. Seit ihrer Ankunft in Deutschland vor einer Woche hat Emilie Schindler schon den Bundestag, die Synagoge in der Oranienburger Straße und die Rosa-Luxemburg- Stiftung besucht. Besonders gern mochte sie den Tiergarten, verrät Rosenberg. „Die Düfte, die Pflanzen und die Tiere – danach hat sie sich auch früher immer gesehnt.“ Der Lehrer Axel Gebauer von der Oskar-Schindler-Oberschule in Hohenschönhausen kümmert sich hier nun um die alte Dame – und darum, dass sie einen Platz in einem Pflegeheim bekommt. „In Argentinien hat sie kaum Leute um sich, und das Spanisch hat sie vergessen“, sagt Rosenberg.

„Die Schüler haben sich rührend um sie gekümmert, ihr Blumen geschenkt und Kekse mitgeracht“, sagt Gebauer. Mit der Oskar-Schindler-Oberschule habe sie eine neue Familie gefunden. Unklar ist noch, wo Emilie Schindler unterkommt. „Am liebsten wäre uns natürlich ein Ort im Raum Berlin“, sagt Gebauer, „fünf Pflegeheime haben bislang einen Platz angeboten, am Mittwoch werden wir dann entscheiden.“ Bis dahin will sich das Trio ein wenig ausruhen.

Emilie Schindler ist eingenickt. Erika Rosenberg stupst ihre Freundin an. Kurz danach brechen sie auf. Rosenberg schiebt die alte Dame aus dem Raum. Sie selbst kehrt zurück nach Argentinien. „Das ist schließlich meine Heimat“, sagt Rosenberg mit leicht spanischem Akzent. Emilie Schindler bleibt zurück in ihrer neuen Heimat. Mit 1.119 Schülern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen