yeah! yeah! yeah!
: Wandernde Enthusiasten (1): Am Springbrunnen

Großes Tröpfchenkino

Wenn Wassertropfen denken könnten (gentechnisch soll ja bald einiges möglich sein), würde ihnen das Denken hier sofort wieder vergehen. Aus rein romantischen Gründen. Vor Lust, vor Spaß an der Freud, vor – ein altertümliches Wort – Glückseligkeit. Denn hier, in Berlin, im Springbrunnen im Sony-Center am Potsdamer Platz, hier sind sie gern, hier dürfen sie sein. Würde es diesen Ort nicht geben, man wüsste gar nicht, wie vorwitzig Wassertropfen sein können. Und wissen Sie was: Diese Fröhlichkeit teilt sich mit.

Kluge Leserin, schöner Leser, wenn Sie einmal vor Ort sein sollten, nehmen Sie sich ein halbes Stündlein Zeit. Setzen Sie sich an den metallen glänzenden Rand des Brunnens (Achtung: Wasserspritzer sind nicht ganz zu vermeiden). Seien Sie still. Reden Sie nicht. Schauen Sie sich um. Hören Sie zu. Es wird vielleicht in unserer Hauptstadt einer dieser grauen, nieseligen Tage sein, der einen durchaus an der Theorie der Erderwärmung zweifeln lässt. Oder aber es ist möglicherweise ein heißer Sommermittag, an dem man den glühenden Brandenburger Sand noch in Berlins neuer Mitte zu riechen meint. Auf jeden Fall werden Sie von Touristen umgeben sein, die – wie Touristen das so zu tun pflegen – mal hierhin, mal dorthin gucken, mit schlenkernder Aufmerksamkeit die zeltartige Dachkonstruktion betrachten, in Stadtpläne schauen, die umliegenden Cafés und Kinos sichten und darüber hinaus nicht so recht wissen, was sie hier, an diesem Ort, gerade sollen. Aber nun passen Sie bitte auf! Beachten Sie, wie sich da und dort ein kleines Lächeln, eine dezente Verwunderung, gelegentlich gar ein helles Lachen in die Mienen der Herumsitzenden zaubert. Dies ist ein Ort, der fröhlich machen kann. Und dass das so ist, hat nichts anderes als der Springbrunnen getan.

Eine flache Schale aus silbernem Metall, vielleicht ein Dutzend Meter im Durchmesser, angefüllt mit Wasser. Auf den ersten Blick sieht dieser Brunnen, muss man schon sagen, etwas einfallslos aus. Aber was er alles kann! Plätschern. Kühle spenden. Eine hübsche Fontäne speien. Das können viele Springbrunnen auf der ganzen Welt. Dieser kann das auch – und noch viel mehr. Er kann flüstern, angeben, ein Tröpfchenballett aufführen, musizieren. Entlang des metallenen Runds sind kleine Düsen angebracht, die, möglicherweise gesteuert durch einen Zufallsgenerator, mit einem federnden Geräusch einzelne Tropfen spucken können. Manchmal geschieht sekundenlang nichts. Dann plötzlich schießt hier ein Tropfen hervor, dann dort, dann steigert sich das Ganze zu einem Furioso, das vom Klang her einem Kastagnettentanz nicht unähnlich ist. Plötzlich bricht alles wieder ab, und die Düsen gehen vielleicht über in dramatische Tropfenkombinationen – großes Tröpfchenkino.

Es handelt sich hier ganz ohne Zweifel um einen Brunnen der theatralischen Effekte, um eine wahre Rampensau unter den Brunnen, dem Ort, an dem er sich befindet, dem Potsdamer Platz also, durchaus angemessen. Richtig rührend will einem aber ums Herz werden, wenn er einen ganz normalen Brunnen spielt, mit einer schlichten, zwei Meter hohen Wasserfontäne genau im Mittelpunkt des Runds. Seht her, eine Kleinigkeit, scheint der Brunnen dann auszudrücken. Und wer meint, dass sich auch Brunnen die Techniken der Selbstironie aneignen können, könnte meinen, dass es hier geschähe: Bei allem, mit dem ich dich, Zuschauer, bezaubere, bin und bleibe ich doch nur – ein Brunnen. So die Fontäne.

Und kurze Zeit später tanzen schon wieder die Wassertropfen. Und man holt sich irgendwo ein Eis und setzt sich wieder an den Brunnenrand. Mag auch sein, dass man spontan Lust hat, ins Kino zu gehen; auch das kann man tun. Im Untergeschoss des Sony-Centers befinden sich Kinosäle; durch ein Glasdach kann man vom Brunnen aus einen roten Teppich sehen, der mit dem Drehbuch von „Taxi Driver“ beschriftet ist.

Oder aber man wandert enthusiasmiert weiter und versucht, die federnden, fliegenden, flachsenden, tanzenden Tröpfchen mit in seinen Alltag zu integrieren. Denn auch wenn es hier keine Stelle gibt, die dich nicht sieht, wollen die Tropfen doch nicht dein Leben ändern. Höchstens dass du dir vornimmst, sehr bald mal wieder ein halbes Stündchen am Rand des Brunnens zu verweilen. Was ordinäres Wasser alles bewirken kann. Es ist gut, solche Orte zu haben. DIRK KNIPPHALS