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Hier spricht der letzte Dadaist

■ Keine Abschwörungsorgien: Thorwald Proll hat eine CD gemacht und feiert am Sonntag seinen 60. Geburtstag

Berühmt geworden ist eigentlich das Foto, das ihn lachend mit Zigarre im Mund neben Horst Söhnlein, Andreas Baader und Gudrun Ensslin am 14. Oktober 1968 im Frankfurter Gerichtssaal als Mitangeklagten im so genannten Brandstifter-Prozess zeigt. Nach einer Zeit der Illegalität und Aufenthalt im Knast von Berlin-Tegel war seine Karriere im „bewaffneten Kampf“ zu Ende, unverändert aber aber seine Einstellung gegenüber dem Staat und anderen selbsternannten Autoritäten.

1971 zog es ihn nach Hamburg, wo er zusammen mit Renate Fink seit circa 20 Jahren die Nautilus-Buchhandlung betreibt. Seit über dreißig Jahren publiziert Thorwald Proll Bücher, mal in Verlagen, mal in handgemachten Klein-Auflagen, wofür die Antiquare ihm eines Tages dankbar sein werden. Die Gedichtbände Keine Macht für Niemand (1975) und Einmaliges aus der alten Welt (1979) gehören zu seinen besten Produktionen.

An diesem Sonntag wird er 60 Jahre alt, und er hat sich schon mal vorab mit seiner CD selbst ein Geschenk gemacht. In acht Abschnitten werden 32 alte und neue Gedichte präsentiert. Auch wenn Thorwald Proll seine Texte mit großem Ernst und hanseatischer Zurückhaltung präsentiert und Gefühlsausbrüche eher der gezielten Betonung vorbehalten sind, so ist dieser Enkel des Dadaisten Kurt Schwitters mit dieser CD auch endlich akustisch wahrnehmbar.

Klassiker wie die Die Kommune von Karstadt oder Son of Zolá (Ich bin der Sohn von Emile Zola / Und ich trinke all' die Cola... – all das zu hören, samt der musikalischen Untermalung von Wolfgang Dürring, ist eine gelungene Sache: wer nicht lesen will, soll hören.

Hier und dort schleicht sich ein Schmunzeln ein (Ein Gedicht sagt mehr / Als ihm lieb ist / Ich kam sah und siegte – / Cäsar erfand das Telegramm...), aber hinter all der dadaistischen Wortakrobatik steckt auch immer die Person Thorwald Proll. Er ist ein Teil bundesdeutscher Geschichte, aber er gehörte nie zu jenen, die sich in die öffentlichen Abschwörungsorgien drängelten, selbst wenn er heute eine andere Sichtweise auf den damals nachfolgenden so genannten Terrorismus haben wird. Die CD ist eine schöne Sache, und sie hat nur ein einziges Manko: sie ist zu kurz.

Jochen Knoblauch

Matchbox – Thorwald Proll spricht 22 Gedichte in Neufassung aus seinen Gedichtsbänden Einmaliges aus der alten Welt (1979), Bringt Opi um (1993) und 10 neue Gedichte, Verlag auf hoher See, 29,95 Mark

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