JEDER KLIMASCHUTZ IST BESSER ALS GAR KEINER: Wettbewerb im Tiefsprung
Ist irgendein Kioto-Protokoll besser als gar keines? Das war gestern die Frage, als die EU ihren Vorschlag auf der Klimakonferenz in Bonn präsentierte: Reduktion der Klimagase nicht mehr um 5,2, sondern nur noch um 1,8 Prozent? Die Antwort heißt: ja. Lieber eine niedrige Latte als gar keinen Wettbewerb im Hochsprung. Gleichzeitig könnte man das Gefeilsche als abschreckendes Beispiel nutzen: So endet es, wenn eine zentrale Zunkunftsfrage von Partikularinteressen überlagert wird.
Die 1,8 Prozent waren ein schlechter Witz. Schon die 5,2 Prozent von Kioto waren lächerlich, fordern doch Wissenschaftler eine Reduzierung von 50 bis 80 Prozent. Bereits Kioto war ein Papier, das nicht das Problem löste, sondern nur den Willen ausdrückte, das Problem ernst zu nehmen. Insofern geht durch den EU-Vorschlag nicht viel verloren.
Wichtig hingegen ist, dass die Vorteile von Kioto gerettet werden: dass sich die Unterzeichner völkerrechtlich binden, ihre Klimagase zu reduzieren. Denn dies könnte eine Dynamik in Gang setzen, die Quoten weiter zu verschärfen. Ohne ein Abkommen aber verschwindet der Klimaschutz so lange von der Tagesordnung der Industriestaaten, bis die eigenen Küsten in Gefahr sind.
Ein Klimaprotokoll ist nicht verzichtbar. Es ist nicht durch die verstärkte Förderung regenerativer Energien zu ersetzen, wie der Solarpapst Hermann Scheer vorgeschlagen hat. Das Gegenteil ist richtig: Nur wenn Klimaschutz ein Thema bleibt, haben auch regenerative Energieformen eine Zukunft, ehe die fossilen und atomaren Reserven erschöpft sind. Verschwindet das Thema, gehen auch die regenerativen Lichter aus: Die USA entwickeln sich nach ihrem Abschied von Kioto schließlich nicht zur Wind- und Solar-Großmacht.
Das Angebot der EU ist aber auch ein Eingeständnis des Scheiterns. Denn die Industriestaaten haben mit Ausnahme von Deutschland und Großbritannien den Klimaschutz so lange missachtet, dass die Kioto-Ziele jetzt gar nicht mehr erreichbar scheinen. Das führt nicht etwa zu verstärkter Anstrengung, sondern zu niedrigeren Vorgaben oder der Aufkündigung des Protokolls. Der Vorschlag der Europäer ist der richtige Weg. Auch wenn man sich dafür schämen muss. BERNHARD PÖTTER
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