: Wenn der Löwenzahn aus dem Asphalt lugt
Wilde Pflanzen wuchern am Straßenrand wie nie zuvor. Bezirke haben kein Geld zur Pflege. Umweltschützer sind begeistert, Autofahrern fehlt Sicht
In der Hauptstadt wächst und grünt es. Doch was die Besucher erfreut, wird immer mehr Berlinern zu viel: Kaum kontrolliert wuchert das Grün nun auch dort, wo es nicht gewünscht wird. Gräser sprießen bald menschenhoch zwischen Gehwegplatten, Löwenzahn blüht wie wild am Straßenrand, und Gebüsch gedeiht auf Verkehrsinseln. Den Bezirken wurden in den letzten Jahren die Mittel zur Unterhaltung der Grünanlagen um rund zwei Drittel gestrichen, das Personal der Natur- und Grünflächenämter wurde reduziert.
Mehr als 410.000 Bäume und fast 10.000 Hektar Grünflächen müssten regelmäßig gepflegt werden, rechnet die Referatsleiterin in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Beate Profé, vor. Fast 1.000 Hektar davon sind so genanntes „Straßengrün“, wie etwa Mittelstreifen und Verkehrsinseln. Das knappe Geld wird nach einem komplizierten Modell an die Bezirke verteilt, und „verteilt“ heißt im Jahr 2001 vor allem „einbehalten“. Letztlich bleiben je nach Bezirk nur zwischen 20 und 40 Prozent der ursprünglich veranschlagten Beträge zur Grünflächenunterhaltung.
Die Bezirkshaushaltspläne sahen für 2001 eine Gesamtsumme von 165 Millionen Mark (rund 84,4 Millionen Euro) vor, doch kriegen die Bezirke nur rund 80 Millionen Mark von der Senatsfinanzverwaltung. Davon bleiben mit 55,6 Millionen weniger als ein Drittel des errechneten Bedarfs für die Pflege der Grünflächen. Das sind nur wenig mehr als 50 Pfennig für den Quadratmeter; notwendig wäre mehr als das Dreifache.
So wuchern Unkraut und Bäume ungehindert vor allem in den Randbezirken. Dabei sind die Bezirke dafür zuständig, dass der Verkehr sicher durch die Stadt rollen kann. Mangelnder Baumbeschnitt behindere schon lange den Blick auf Ampeln und Verkehrszeichen, kritisiert Jörg Becker, Leiter der Verkehrsabteilung beim ADAC Berlin-Brandenburg, und erinnert die Bezirke an ihre Pflicht.
Besonders an Einmündungsbereichen von Straßen und Fußgängerüberwegen bestehe wegen der wuchernden Büsche auf einigen Grünstreifen ein deutlich erhöhtes Unfallrisiko. Vor allem für Kinder sei die Gefahr groß, beim Überqueren der Straße wegen der Büsche am Straßenrand von den Autofahrern nicht rechtzeitig gesehen zu werden.
Umweltschützer sehen im Wildwuchs auf Berlins Straßen dagegen auch die Chance, dass sich „Trittstein-Biotope“ entwickeln. Blumenwiesen, die auf breiten Verkehrsinseln und Mittelstreifen entstehen, seien nicht nur schön anzuschauen, sondern böten auch Schutz für wilde Pflanzen, erläutert Hildegard Niederehe vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND).
So habe sich das weiß blühende Hirtentäschelkraut (Capsella bursa-pastoris), und der gelb getupfte Scharfe Mauerpfeffer (Sedum acre) im Großstadtdschungel weiter ausgebreitet. Für die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer genügt es nach Ansicht von Niederehe, in Kreuzungsbereichen die ersten Meter eines Mittelstreifens zu mähen und das restliche Grün stehen zu lassen.
PEER KÖRNER, DPA
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