: Nazi-Netzwerk enthüllt
■ Die Reportage „Stille Hilfe für braune Kameraden“
„Die Stille Hilfe hatte immer eine Vorbildfunktion für die rechte Szene“ versichert Christian Worch. Der Hamburger Chef der Freien Nationalisten ist nur einer von denjenigen Nationalsozialisten, die Andrea Röpke und Oliver Schröm zum Reden über die geheime „Hilfe für braune Kameraden“ bewegen konnten. Auch die Hanseatische Auschwitzleugnerin Gertrud Herr bricht ihr Schweigen und erzählt als Vereinsmitglied der „Stille Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte e.V.“ von der Zusammenarbeit der alten und jungen Nazis. Seit 50 Jahren agiert der Verein weltweit nach dem SS-Schwur „Unsere Ehre heißt Treue“.
Die JournalistInnen Röpke und Schröm suchten über 10 Jahre in Archiven Material zu dem jahrzehntelang als gemeinnützig anerkannten Verein zusammen und sprachen mit Mitgliedern. So ist es ihnen gelungen, die Strukturen der verschworenen Gemeinschaft um die Tochter des SS-Reichsführers Heinrich Himmlers, Gudrun Burwitz, öffentlich zu machen. Bisher waren nur vereinzelte Personen und Operationen des Vereins bekannt gewesen, der nach Kriegsende gesuchte NS-Kriegs- und SS-Verbrecher ins Ausland schleuste. Heute kümmern sich die stillen Helfer indes um inhaftierte und freie NS-Verbrecher wie etwa den „Schlächter aus Theresienstadt“, Anton Malloth. Die früheren NSDAP-Mitglieder und Angehörigen der Waffen-SS sammeln Gelder, besorgen Anwälte und mittlerweile schulen sie auch die nachfolgenden ewig Gestrigen und unterstützen sie mit ihren finanziellen Nachlässen.
Röpke und Schröm berichten aber nicht nur über diese Nazi-Szene, sondern schildern auch, wie der NS-Massenmörder Klaus Barbie in Zusammenarbeit mit Geheim-diensten untertauchen konnte. Anhand der Fälle von Erich Priebke und Malloth zeigen sie auf, wie insbesondere Desinteresse und Fehler der deutschen Justiz den gesuchten NS-Verbrechern einen ungestörten Lebensabend ermöglichte.
Beim Lesen mag man an die Ermittlungen der Hamburger Justiz im Fall Siegfried Engel erinnert werden. 1999 verurteilte das Turiner Militärgericht den einstigen SS-Chef von Genua wegen 246-fachen Mordes zu einer lebenslänglichen Haftstrafe. Erst dieses Jahr bestellten die Staatsanwaltschaft die Gerichtsunterlagen, nachdem die Medien über den Hamburger berichteten.
Im November feiert der SS-Verein sein 50-jähriges Jubiläum. Röpke und Schröm fragen sich, ob die Verantwortlichen wieder hilflos zuschauen werden. Dass ein Verbot möglich ist, belegt die umfassende Recherche des spannend geschrieben Reports. Andreas Speit
Oliver Schröm, Andrea Röpke: Stille Hilfe für braune Kameraden. Das geheime Netzwerk der Alt- und Neonazis. Christoph Links Verlag. 213 Seiten, 29,80 Mark
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