: Eine Entführung – zwei Mal vor Gericht
Der 38-jährige Bäcker Aydin B. soll 1996 einen Jungen entführt haben. Dafür stand er bereits in der Türkei vor Gericht. Er und seine Komplizen erbeuteten bei der Entführung 100.000 Mark von dessen Familie, Betreiber einer Imbissbude
Ein Mensch darf für ein Verbrechens niemals zwei Mal verurteilt werden. Das sagt auch der Staatsanwalt. Trotzdem sitzt der 38-jährige Bäcker Aydin B. seit gestern wieder vor Gericht, wieder wegen der Kindesentführung vom Juni 1996. Strafverfolgung ist eine nationalstaatliche Angelegenheit. Deswegen kann es passieren, dass ein Mann wie Aydin B. von einem türkischen Richter amnestiert wird, ihm aber in Deutschland noch einmal der Prozess gemacht wird. So erklärte es gestern der Staatsanwalt am Landgericht. Bei einer Verurteilung müsse der Angeklagte nun mit einer Strafe von mindestens fünf Jahren Gefängnis rechnen. Vorgeworfen wird ihm erpresserischer Menschenraub. Aydin B. schwieg in der Verhandlung.
Laut Anklag kann Aydin B. nur der Aufpasser gewesen sein. Am Morgen des 19. Juni 1996 hätten seine zwei Komplizen dem neunjährigen Taner K. auf dem Schulweg in Marienfelde aufgelauert, ihn in einen silbergrauen Wagen der Marke Honda Civic gelockt und seien zu einer eigens für die Entführung angemieteten Wohnung gefahren. Dort schüchterten die Entführer den Jungen mit einer Pistole ein. Aydin B. habe die Geisel bewacht. Über ein Funktelefon hätten die Männer Taners Vater angerufen und zwei Millionen Mark Lösegeld gefordert. Ansonsten müsse der Junge sterben, so drohten sie.
Aus Sorge um das Leben seines Sohnes stellte der Vater, wie es ihm die Entführer aufgetragen hatten, gegen 2 Uhr Früh am 22. Juni einen Koffer mit Geld im Volkspark Mariendorf ab. Er hatte ihnen glaubhaft machen können, dass er als Betreiber einer Imbissbude in Tempelhof nicht mehr als 100.000 Mark aufbringen könne. Die Entführer gaben sich mit der Summe zufrieden. Sie luden den Jungen in ein Taxi und ließen ihn gegen 4 Uhr morgens in der Nähe des U-Bahnhofs Alt-Mariendorf unverletzt frei. Taner K. fand alleine nach Hause.
Die daraufhin eingeleitete Fahndung nach den Verdächtigen konzentrierte sich schnell auf vier türkische Kurden, die alle aus dem türkischen Ort Bingöl stammen. Dort waren die Täter mit dem Geld denn auch untergetaucht. Aydin B. und sein Bruder Yilmaz wurden im November 1996 festgenommen. Eine Überwachung des Telefons der Geliebten eines Verdächtigen habe der Polizei schließlich die entscheidende Spur verraten, hieß es gestern von der Staatsanwaltschaft.
Nach türkischem Recht wurden die Entführer damals allerdings amnestiert, das heißt, mit einer Art Bewährungsstrafe auf freien Fuß gesetzt. Einer der Entführer soll mittlerweile gestorben sein, will die Staatsanwaltschaft erfahren haben. Die deutsche Justiz konnte nur des nun erneut angeklagten Aydin B. habhaft werden.
Unklar ist bis heute, warum ausgerechnet die keineswegs wohlhabende Familie K. Opfer einer Entführung wurde. Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft soll der neunjährige Tamer in der Schule erzählt haben, sein Vater sei Millionär. Das könnte ein Grund für die Tat gewesen sein. Der Prozess wird am 6. August fortgesetzt. Wann das Gericht den inzwischen 14-jährigen Taner als Zeugen hören wird, steht noch nicht fest.
KIRSTEN KÜPPERS
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