Italiens Polizei im Visier

Grüner Bundestagsabgeordneter Ströbele entsetzt über Brutalität des Polizeieinsatzes zum G-8-Gipfel. Europaweite Konsequenzen gefordert. Hunderttausende protestieren in ganz Italien

BERLIN taz ■ Schwere Vorwürfe hat der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele gegen die italienische Polizei wegen ihres Vorgehens gegen die Demonstranten beim G-8-Gipfel am Wochenende in Genua erhoben. Auf seiner zweitägigen Reise zu deutschen Globalisierungskritikern in italienischen Krankenhäusern und Gefängnissen traf Ströbele gestern mehrere verwundete und festgenommene Protestler.

Im Anschluss an den Besuch im Genueser Krankenhaus San Martino sagte Ströbele zur taz, alle drei dort liegenden Deutschen hätten schwere Kopfverletzungen und hätten übereinstimmend erklärt, dass die Polizei in der Samstagnacht ohne Vorwarnung die vom Genua Social Forum (GSF) zum Nachtlager umgewandelte Schule überfallen und die dort schlafenden Demonstranten mit Stöcken zusammengeschlagen habe.

Nach Besuch eines zweiten Krankenhauses erklärte Ströbele, die dort Liegenden seien „fürchterlich massakriert“ worden; „das sollte man in Mitteleuropa nicht für möglich halten“. Laut Schilderung eines 21-jährigen Berliners habe die Polizei in der besagten Schule auf die am Boden liegenden Demonstranten eingeschlagen. Der 21-Jährige habe berichtet, als er blutend auf dem Boden gelegen habe, habe ihm ein Polizist die Pistole auf die Stirn gesetzt und lächelnd gesagt: „Murderer, Murderer!“ Der Demonstrant habe einen doppelten Kieferbruch davongetragen, drei Tage lang keinen Kontakt zur Familie gehabt und sei nachts mit Handschellen ans Bett gefesselt worden.

„Das muss politische Konsequenzen haben – in Italien, aber auch europaweit“, sagte Ströbele. Er erneuerte die Forderung nach einer internationalen Untersuchungskommission. Die Verantwortlichen müssten Rechenschaft ablegen. „Ich gehe davon aus, dass das italienische Parlament aktiv wird.“ Ströbele kündigte an, dass seine Fraktion auf europaweite Aufklärung der Vorgänge drängen werde.

Die Rechtsanwältin Alessandra Ballerini, die viele der italienischen Demonstranten vertritt, beklagte gegenüber der taz gestern, sie habe bislang keinerlei Kontakt zu den Inhaftierten bekommen. Auch Verwandte wurden bis gestern dort nicht vorgelassen. Nach Angaben des Auswärtigen Amts sind noch 58 Deutsche in Italien in Haft.

In zahlreichen Städten Italiens haben am Dienstagabend insgesamt 100.000 Menschen gegen den G-8-Polizeieinsatz demonstriert. Viele riefen „Mörder, Mörder!“ in Anspielung auf den von der Polizei erschossenen Demonstranten Carlo Giuliani, der gestern beerdigt wurde. HH, J. K.

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