: Wenn Männer grillen
Im Sommer vagabundieren Kleingruppen mit Schweinenacken und Kugelgrill durch Parks und suchen eine Feuerstelle. Dort zischt’s, raucht’s und kokelt’s, dass die Kaninchen im Unterholz hüsteln. Ein Blick auf archaisch-heiße Männervergnügen
von WOLFGANG ABEL
Im Hochsommer, wenn Achselschwitzflecken die Größe von Frisbeescheiben erreichen, schmilzt auch das dünne Eis kulinarischer Zivilisation dahin. Brauereigarnituren und Zapfhähne schießen wie die Pilze aus dem Boden, Damen tragen Kühlboxen statt Handtaschen, erwachsene Männer hantieren wieder mit Stöckchen und Hölzchen. Sie wollen Feuer machen.
Die Einnahme eines Mahles zu bestimmter Zeit, gemeinhin Mahlzeit genannt, verschwimmt unter der flirrenden Sommerhitze zugunsten der eher unbestimmten Formen der Nahrungsaufnahme. Gesellige Tätigkeiten wie Hocken, Grillen und Brunchen eignen sich hierzu in besonderem Maße. Gerne entledigt sich der Mensch bei solchen Anlässen auch vom Druck der sozialen Regeln, die während der schwülheißen Sommertage als besonders lästig empfunden werden.
Richten wir unser Augenmerk zunächst kurz auf das Brunchen. Hier ist es gelungen, die eher konventionellen Formen des Frühstücks (Breakfast) und Mittagessens (Lunch) zu einer zeitgemäßen Mischform, eben zum Brunch zu verschmelzen. Besonders unter einem jüngerem Publikum und namentlich am Sonntag erfreut sich das Brunchen immer größerer Beliebtheit. Gegen zehn Uhr, in studentisch oder sonst wie libertär geprägten Vierteln auch später, finden Gruppen und Paare an besonders ausgewiesenen Brunchplätzen zusammen und werden dort von einer für Außenstehende kaum fassbaren Vielfalt von Nahrungsmitteln empfangen.
Das kunterbunte Arrangement wird zum Festpreis angeboten, eine kulinarische Kombipackung gegen drohende Sonntagsdepression. Zerealien, Müsli und Salami, Schwitzekäse und Marmelade und Honig im Portionspöttchen. Unter Infrarotwarmhaltelampen, wie sie auch in Ferkelställen eingesetzt werden, sintert Rührei einem neuen Aggregatzustand entgegen. Beim Brunch gibt sich alles die Hand, hart, aber locker. Das vermeintlich Unvereinbare wächst dann auf den Tischen der Brunchenden vollends zusammen. Eine zivilisierte Form des Brunchs gab es schon immer, sie wurde früher Gabelfrühstück genannt. Aber das Rollschuhfahren wurde ja auch zum Inlineskaten weiterentwickelt.
Beim Hocken und Grillen liegen die Dinge anders. Hier handelt es nicht um evolutive, sondern vielmehr um regressive Verhaltensweisen. Hocken und Grillen passt schon deshalb zum Sommer, weil sich der Mann in der heißen Jahreszeit gerne das Bärenfell vom Leib reißt und sodann in afrikanischer Nacktheit ums Feuer hockt. Hocken und Grillen sind menschliche Urbedürfnisse, dem Schwitzen und Fernsehen ähnlich. Schon die ältesten Kochbücher unserer Zivilisation waren eingehend mit dem Hocken und Grillen befasst. Der Römer Apicius empfiehlt in seinem Werk „De arte coquinaria“ beim Grillen ausschließlich Buchenholz zu verwenden, weil dies von allen Hölzern den ruhigsten Abbrand garantiert. Ein weiser Rat, wer möchte sich beim meditativen Grillhocken schon von irrlichternden Flammen den Scheitel versengen lassen?
Im Grunde kann überall gegrillt werden. Als neueste Errungenschaft veranstalten in diesem Sommer selbst großstädische Szenekneipen Grillabende, und vermutlich würde sich niemand wundern, wenn deren Schirmherrschaft Jürgen von der Lippe innehätte. Aber inmitten einer keimfreien, ziemlich abwaschbaren Welt sorgt der Grillhock zumindest für ein winziges archaisches i-Pünktchen. Wenn es sein muss, auch elektrisch, im 14. Stock auf dem Hochhausbalkon. Findige Hersteller bieten mittlerweile eine große Sortimentsbreite an. Vom archaischen Kugel- über den handlichen Klapp- bis zum High-Tech-Elektrogrill mit Glas-Keramik-Platte, die „leichte Reinigung mittels Schaber“ verspricht – gegrillt wird, bis die Schwarte platzt. Das Pendant zum Grill ist im Übrigen die RTL-farbene Kühlbox, die nur noch entfernt an ihren historischen Vorläufer erinnert: Mit dem Picknickkorb englischer Provenienz kann die Kühlbox tragende Mitte heute wenig anfangen. Für Serviettenring und Salatgabel müsste eine Gebrauchsanleitung beiliegen, Gläser scheinen entbehrlich, man trinkt aus der Dose.
Wobei die Vielzahl der Grillmodelle und ihre technische Verfeinerung bereits die Stufe der Dekadenz anzeigen. Nicht von ungefähr wird unter erfahrenen Grillfreunden mit entsprechendem Grundbesitz nach wie vor ein ebenso alter wie funktionaler Grill gepflegt: der Schubkarren. Ein alter Schubkarren ist der ideale Gartengrill, zwei Backsteine tragen den Rost, zur Not tut es hier ein altes Backofengitter. Die Karre kann bis zum Anschlag beheizt werden, die Reifen bleiben heil. Zudem ist die Karre beweglich, sie lässt sich optimal im Wind ausrichten, nach Gebrauch einfach wegrollen und abkippen. Einzig auf dem Balkon sind hier Probleme zu erwarten, und unter traditionell orientierten Schrebergärtnern könnte ein rauchender Schubkarren ebenfalls für Irritationen sorgen.
Gleich, ob Karre oder Elektrogrill, hier wird der Mann zum Freund des Menschen. Auf dem Rost kann er rohes Fleisch für die Schwachen der Sippe zubereiten, er darf sich die Finger verbrennen, mit der Glut kämpfen, hernach als Sieger abhocken und seine Wunden lecken. Dabei wirkt er direkt am Agens der Weltgeschichte. Knaben wollen Dampflokführer werden, Abteilungsleiter drängt es einmal im Monat an den Grill, mal so richtig einheizen wollen beide.
In unserer fragmentierten Gesellschaft hat das Grillfeuer zuletzt auch eine einende Funktion. Unter keiner Religion, unter keiner Flagge finden so unterschiedliche Volksgruppen so friedlich zusammen. Das Grillfeuer ist multikulturell im Wortsinne, eben deshalb hat ein Gericht erst neulich entschieden, dass Ethnien auch in öffentlichen Parks grillhocken dürfen. An ausgewiesener Stelle, bis 22 Uhr, wir sind schließlich in Deutschland.
Wie der Senf zur Wurst, gehört der Hock zum Grill. Erst der Hock gibt dem Menschen, was er in bewegter Zeit so entbehrt: Bodenhaftung, Halt. Im Sommer wird gebikt, gesurft und gejoggt. Der Mensch erhebt sich mit Flugdrachen in die Lüfte, und mit den modernen Laufmaschinen macht er sich den Asphalt untertan. Was aber tut der Mensch, wenn er frisbeescheibengroße Schwitzflecken unter den Achseln hat und Sandalen mit Socken tragen möchte. Er hockt.
WOLFGANG ABEL ist Reisebuchautor. Soeben ist in 10. Auflage sein Gastroklassiker „Freiburg, Breisgau, Markgräflerland“ erschienen, Oase, Badenweiler 2001, 338 Seiten, 38 Mark
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