: „Aufklärung ist Sache der Italiener“
Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hält Aufklärung der Vorfälle von Genua für nötig, unterstützt aber nicht die Forderung nach einer internationalen Untersuchungskommission. Videokontrolle am Holocaust-Mahnmal, nicht flächendeckend
Interview PLUTONIA PLARRE und ANDREAS SPANNBAUER
taz: Herr Körting, schon als Justizsenator haben Sie mit populistischen Forderungen Aufsehen erregt. Welche Überraschungen sind von Ihnen als Innensenator zu erwarten?
Ehrhart Körting: Was heißt populistisch?
Sie forderten geschlossene Heime für kriminelle Kinder.
Ich halte das im Grundsatz nach wie vor für vernünftig. Was Ihre Frage angeht: Ich bin hier nicht mit 17 Lieblingsideen angetreten.
In einem Punkt haben Sie Ihren CDU-Vorgänger schon übertroffen: Demonstranten gegen den G-8-Gipfel wurden an der Ausreise gehindert.
Die Ausreisebeschränkungen sind vom Oberwaltungsgericht bestätigt worden. Das waren alles Fälle, in denen gegen die Betroffenen Verfahren eingeleitet worden waren, auch wenn die nicht zu einer rechtskräftigen Verurteilung geführt haben. Es gab den erheblichen Verdacht, dass sich diese Leute an Gewalttätigkeiten beteiligen würden.
Ist das die Innovation eines SPD-Innensenators: polizeiliche Auflagen auch ohne rechtskräftige Verurteilung?
Das ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes gegenüber Rechtsextremisten, die man daran hindern wollte, vom Ausland aus Propaganda zu machen. Die haben wir zugrunde gelegt. Unsere Zahlen – 16 Fälle –zeigen, dass wir mit Augenmaß vorgegangen sind. Es geht hier um Gefahrenabwehr und nicht um Strafverfolgung. Die Betroffenen werden ja nicht inhaftiert. Es geht ausschließlich darum, die Ausreisemöglichkeiten nach dem Passgesetz zu begrenzen.
Sie haben gesagt: „Es gibt kein Grundrecht auf Ausreise.“ Erinnert Sie nicht das an irgendetwas?
Nein. Wir haben ein Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben de facto ein Recht auf Auswanderung – das ist die Frage, die in der ehemaligen DDR eine Rolle gespielt hat –, und wir haben auch ein Recht auf Ausreise, wenn auch kein spezielles Grundrecht. Letzteres kann ich von Gesetzes wegen aus vernünftigen Gründen begrenzen. Es möchte doch auch niemand, dass Horden von deutschen Rechtsradikalen in Kopenhagen oder Paris durch die Straßen marschieren.
Gab es denn Widerstand der Grünen am Senatstisch?
Es gilt das Ressortprinzip. Jeder Senator verantwortet seine Entscheidungen allein.
Wie beurteilen Sie den Polizeieinsatz in Genua?
Dazu kann ich mir kein Urteil erlauben, ich kenne das nur aus dem Fernsehen. Das war eine schreckliche Spirale der Gewalt. Ich hoffe, dass wir solche Zustände nicht in Deutschland bekommen.
Ist es kein europäisches Problem, wenn EU-Staaten zunehmend Schusswaffen gegen Demonstranten einsetzen?
Ich maße mir kein Urteil an, ob es sich um eine Notwehrsituation gehandelt hat.
Die Grünen fordern eine internationale Untersuchungskommission über die Vorfälle in Genua. Können Sie nicht Druck bei Bundesinnenminister Otto Schily machen?
Nach dem, was ich aus der Presse kenne, halte ich eine Untersuchung und Aufklärung für dringend erforderlich. In welcher Form das geschieht, ist Sache der italienischen Behörden und des italienischen Parlaments.
Die CDU fordert als Konsequenz aus dem Todesfall von Genua die Einführung von Hartgummigeschossen für die Berliner Polizei.
Wahlkampfpropaganda! Es gibt keine Situation, in der wir Hartgummigeschosse oder Granatwerfer brauchten. Wir sind hier nicht im Gaza-Streifen.
Die CDU sieht wenig Unterschied zwischen dem 1. Mai in Berlin und den Krawallen in Genua. Folgen Sie dem Beispiel Ihres Vorgängers und verbieten die 1.-Mai-Demonstration?
Das hängt von der kurzfristigen Lageeinschätzung der Polizei ab. Ich kann mich da heute noch nicht festlegen. Ich halte aber nichts von martialischen Muskelspielen des Staats im Vorfeld. Das Angebot an die Szene sollte sein: Macht, was ihr wollt, aber macht keinen Krawall. Was die Taktik angeht, verlasse ich mich auf die Erfahrung der Polizeiführung. Ich werde ihr auf keinen Fall politische Vorgaben machen.
Wird es nun ein Verbot geben?
Als Bürger hatte ich nicht den Eindruck, dass das Verbot geholfen hat, Gewalt zu verhindern.
Was unterscheidet die SPD in der Innenpolitik von der CDU?
Es gibt ein Grundrecht auf Schutz vor Kriminalität. Zur Durchsetzung ist jeder Innensenator verpflichtet. Man muss das nüchtern sehen: Neunzig Prozent von dem, was hier geschieht, ist durch Gesetze geregelt. Die Knöllchen für die Falschparker sind nicht plötzlich rot, weil eine andere Regierung dran ist. Der Unterschied liegt vielmehr darin, wie innere Sicherheit gegen innere Liberalität abgewogen wird. CDU-Senatoren neigen zur Überbetonung der inneren Sicherheit. Das fängt bei der Videoüberwachung an: Die stelle ich mir am Holocaust-Mahnmal vor, aber nicht flächendeckend. Das geht weiter mit dem Unterbindungsgewahrsam: Wir haben die Möglichkeit, potenzielle Straftäter für zwei Tage in Unterbindungsgewahrsam zu nehmen. Die Forderung, das auf 14 Tage oder 4 Wochen zu erweitern, widerspricht meinem Grundrechtsverständnis.
Ihr Vorgänger ist mit dem Verbot von rechtsextremistischen Aufmärschen vor Gericht stets gescheitert. Warum wollen Sie diese Linie trotzdem fortschreiben?
Ich halte diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes für höchst problematisch. Die betreffenden rechtsextremistischen Organisationen sind meiner Meinung nach Nachfolgeorganisationen der NSDAP und damit unzulässig. Dazu gehört auch die NPD samt Unterorganisationen. Wir werden uns bemühen, zusätzliches Material zu sammeln, um künftige Versammlungsverbote besser untermauern zu können. Kampflos werde ich diesen Leuten die Straße nicht überlassen.
Die neonazistische Kameradschaft „Germania“ ruft für den 3. Oktober zu einem „historischen Marsch“ durch Berlin auf.
Ich habe meine Zweifel, dass diese Veranstaltung zulässig ist.
Wird Berlin ein Aussteigerprogramm für Rechte einrichten?
Wir werden auch ein Programm haben. Mehr dazu zu sagen wäre kontraproduktiv.
Bei Kundgebungen gegen rechte Aufmärsche war die Eingreifschwelle der Polizei auffällig niedrig. Wer Transparente hochgehalten hat, wurde sehr schnell entfernt.
Die Polizei hat die Aufgabe, zugelassene Demonstrationen zu schützen.
Es gibt einen Unterschied zwischen Schutz und Abschirmung vor Kritik.
Die Polizei muss dafür sorgen, dass es nicht zu einer Massenschlägerei kommt. Kein Polizist, der bei einer Demonstration zwischen links und rechts einen Keil bilden muss, ist darüber froh.
Wie stehen Sie zu der Bundesratsinitiative Ihres Vorgängers, Demonstrationen an bestimmten Plätzen von nationaler Bedeutung zu verbieten?
Für ein Verbot von extremistischen Versammlungen brauche ich keine Änderung des Versammlungsrechtes. Diese würde bedeuten, das Versammlungsrecht letzlich wahllos einschränken zu können. Das ist mit meinem Grundrechtsverständnis nicht vereinbar.
Teile der PDS werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Grüne und PDS fordern ein Ende der Maßnahme.
Nicht jeder Traum geht in Erfüllung. Wir beobachten in Berlin die Kommunistische Plattform und das Marxistische Forum. Diese Gruppen fordern teilweise eine Umgestaltung dieser Gesellschaft auf nichtdemokratischem Wege.
Halten Sie die Beobachtung für verhältnismäßig?
Politisch halte ich diese Gruppierungen für nicht besonders gefährlich. Dennoch halte ich die Beobachtung für gerechtfertigt, insbesondere auch, weil es in Teilen dieser Gruppen Verbindungen zur gewaltbereiten linksautonomen Szene gibt. Ich verlasse mich da auf das Votum der Verfassungsschützer, die auch die Verhältnismäßigkeit der Beobachtung jährlich überprüfen.
Die SPD schließt eine Koalition mit der PDS nicht aus. Wir werden ab Oktober von einer Partei regiert, die in Teilen verfassungsfeindlich ist?
Ich mache keine Wahlprognosen.
Justizsenator Wolfgang Wieland will die Drogenpolitik liberalisieren. Wird es nach den Wahlen Druckräume für Heroinabhängige geben?
Druckräume sind rechtlich zulässig. Alles Weitere muss die Drogenpolitik entscheiden.
Schleswig-Holstein plant einen Modellversuch zur Abgabe von Cannabis in der Apotheke. Macht Berlin mit?
Ich halte das nicht für sinnvoll. Wenn ich mit einer Freigabe von weichen Drogen den Markt für harte Drogen austrocknen könnte, dann würde ich darüber diskutieren. Aber die Erfahrungen aus anderen Ländern sprechen dagegen.
Der Vertrag von Polizeipräsident Hagen Saberschinsky läuft im Oktober aus. Haben Sie die Nachfolge schon geklärt?
Personalien erörtere ich zunächst mit den Betroffenen, bevor ich sie öffentlich bekannt mache.
Das heißt, Sie haben das Thema noch nicht mit ihm besprochen?
Wann ich die Gespräche führe, gebe ich nicht über die Presse bekannt.
Stehen wir im Herbst ohne Polizeipräsident da?
Siehe oben.
Liegt die mangelnde Auskunftsfreudigkeit vielleicht daran, dass Sie nur ein Aushilfssenator bis zum 21. Oktober sind?
Ich glaube, ich vermittle nicht den Eindruck, dass ich das hier zur Aushilfe mache.
Ihr Mandat im Abgeordnetenhaus hatten Sie bereits im Februar 2000 niedergelegt.
Ich wollte im Alter von 58 Jahren keine neue Karriere als Abgeordneter anfangen. Jetzt hat es mich unendlich gereizt, an einem Modell mitzuarbeiten, mit dem die große Koalition beendet wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen