: „Ach, es wird so viel geschrieben und hochsterilisiert“
Wo ist sie nur geblieben, die leise und weise Poesie der Stilblüte? Ein wehmütiger Blick zurück auf die rhetorischen Meisterleistungen der deutschen Fußballkomik
Wer wird Meister? Mit dieser Frage quält uns die Bild-Zeitung seit Wochen und verspricht Spannung total. Kann schon sein, aber dann wird Bayern wieder Meister, und was ist eigentlich langweiliger als viermal hintereinander Platz eins für den gleichen Verein? Was Bild jedoch auch immer zu berichten hat über die neue gigantische Saison, in einer Hinsicht ist die Bundesliga ärmer geworden. Und zwar in mentaler Hinsicht. Es wird nicht mehr viel zu lachen geben, wie vor kurzem noch, als Stefan Effenberg nach dem Endspiel um den Ligapokal gegen die Hertha in die Kamera hineinwichtelte: „Ach, es wird so viel geschrieben und hochsterilisiert.“ Ein Bonmot, das er von Bruno Labbadia abgekupfert hat, als der ebenfalls noch Bayernspieler war und seine Gefühle gegenüber seinem alten Verein Kaiserslautern nicht „hochsterilisiert“ sehen wollte.
Stefan Effenberg, um den es ansonsten nicht schade ist, weil sein grimassierender Torjubel so schwer auszuhalten ist, spielt seine letzte Saison bei Bayern. Auch Jürgen Kohler, an dessen hocherregte Kommentare in der vorletzten Saison man sich noch gern erinnert, und der gerade seinen „7. Frühling erlebt“, hört auf. Ulf Kirsten ebenfalls, dabei hat man das Pummelchen aus der Zone schon ein bisschen ins Herz geschlossen, weil er immer mit der leeren Versprechung aufwartete, „vorne draufzugehen“. Auch die Ära Möller neigt sich ihrem Ende zu, der Schöpfer großer, ja geradezu chinesischer Weisheiten: „Vom Feeling her ein gutes Gefühl“ hat Andreas Möller erfunden, und darauf muss man erst mal kommen.
Von der neuen, nachwachsenden Fußballgeneration hingegen wird dieser Sprachwitz nicht mehr zu erwarten sein. Sie wird nicht nur konditionell getrimmt, sondern auch mental, um die Spieler fit zu machen für das hippe Phrasendeutsch von Kerner und Wontorra. Keine Stilblüte soll mehr von einem deutschen Fußballrasen ausgehen. Schwere Zeiten für Liebhaber und Sammler solcher Stilblüten. „Sie auszujäten“, schrieb einmal Karl Kraus, „zeugt von einem schlechten Geschmack, von einem, der da wünscht, daß [...] nur korrekte Phrasen wachsen. Stilblüten sind die glücklichen Ausnahmen, denen wir in der Wüste der Erkenntnis begegnen.“ Hingegen wird dem Zuschauer der Sat.1-Sendung „ran“ „Emotion pur“ versprochen, aber die besteht in der Regel aus unansehnlich verzerrten Gesichtern und aus dem Vorzeigen von Waschbrettbäuchen, was für Teenies ja ganz okay sein mag, aber selber ist man aus dem Alter doch schon etwas heraus. Die leise Poesie der Stilblüte wird verdrängt vom Gebrüll an der Eckfahne.
„Ich habe ihn doch nur ganz leicht retuschiert“, behauptete schelmisch Olaf Thon, einer der liebenswertesten Erfinder von Sätzen mit komischem Charme. Perdu. In den Sechziger- und Siebzigerjahren wurden noch jede Menge Sprüche von bizarrer Schönheit produziert, als man genau das vermeiden wollte, nämlich komisch zu sein. Ernst Huberty war die Koryphäe auf diesem Gebiet, seine Reportagen sind Legende. Mit der Übernahme des Fußballs durch das Privatfernsehen hingegen ist Lustig Trumpf, aber das Ergebnis ist penetrante Aufdringlichkeit und verkrampfte Originalität, für die Kommentatoren wie Werner Hansch mit ihrem schlechten Namen stehen.
Nein, den Jungstars des Fußballs, die Rhetorikseminare absolvieren und ansonsten ihren Manager für sich sprechen lassen, würden nicht mehr solche Dinge unterlaufen wie Horst Szymaniak, immerhin einer der ersten Profis, die in Italien spielten. Gegen Ende seiner Karriere kehrte er zum schlechtesten Verein zurück, den die Bundesliga je hatte, zu Tasmania Berlin, und handelte mit dem Club eine Beteiligung am Kartenverkauf aus. Dann beschwerte er sich bei einem Kollegen: „Die haben mir fünfzig Prozent versprochen und jetzt wollen die mich mit zwei Drittel abspeisen.“
Und auch die Zeit der Trainer, die für einen unerwarteten schrägen Kommentar gut sind, geht dem Ende zu. Der wurzelseppige Andreas Brehme, von dem der grandios schräge Kommentar stammt „Uns steht ein hartes Programm ins Gesicht“, belegt Platz eins in den Wettlisten, wer am schnellsten fliegt. Bereits weg vom Fenster sind Erich Ribbeck, Otto Rehhagel und Friedel Rausch, die in der marktschreierischen Bundesliga nichts mehr zu suchen haben.
Die Liga ist ärmer geworden, immer weniger Perlen deutscher Fußballkomik können bewundert werden, und nur noch selten wird man Zeuge verunglückter Sprachakrobatik. Die Zeiten werden härter, der Spaßfaktor, wie ihn sich Sat.1 vorstellt, größer. Man möchte sich mit Grausen abwenden, aber dann beginnt die Saison, und man ist wieder mit dabei. Selbstverständlich nur, um’s Schlimmste zu verhüten. KLAUS BITTERMANN
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