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206 Kinder, 13 Nationen, eine Kita

Andere Sprachen, andere Kulturen respektieren lernen: Ein besonderers Konzept der Sprachförderung betreibt die Kita in der Wilhelmsburger Trabantenstadt Kirchdorf-Süd  ■ Von Stefanie Hundsdorfer

„Gel!“ Eine kurze Vorwarnung, schon landet der rote Luftballon in den Armen der kleinen Devne. Unter dunklen Locken blitzt ein schelmisches Lachen im Gesicht der dreijährigen Türkin. Kaum hat sie den Ballon gefangen, tobt sie wie ein Irrwisch zwischen Umut, Gamse und den anderen Kindern den Flur der Wilhelmsburger Kindertagesstätte Otto-Brenner-Straße hinunter. Lautes Gejohle, dazwischen immer wieder türkische Sprachfetzen. Julia steht still daneben. Die Sechsjährige kann kein Türkisch. Was heißt das, „Gel“? Die vierjährige Besa hilft bereitwillig: „,Gel', das ist türkisch für ,Komm'!“. Ein energisches „Kommt!“ – diesmal ertönt es auf Deutsch. Gruppenleiterin Müvet Cekel ruft zum Mittagessen.

„Ausländische Kinder nur in die deutsche Kultur hineinerziehen – das wollen wir nicht“, so Ursula Viereck, Leiterin der Kita. Mehr als die Hälfte der 206 Kinder kommen aus Familien ausländischer Herkunft, knapp 40 Prozent sind türkisch. Deswegen verfolgt die Kita in der Wilhelmsburger Trabantenstadt Kirchdorf-Süd am Rande der Autobahn seit zwei Jahren ein besonderes Konzept der Sprachförderung, das die Mehrsprachigkeit der Kinder betont: „Die Kinder sollen sowohl ihre Muttersprache sprechen als auch die deutsche Sprache erlernen“, sagt Viereck. Ein Ziel dabei sei, dass ausländische Kinder bis zum Schulbeginn ausreichende Deutsch-Kenntnisse besäßen. An erster Stelle stehe jedoch, dass die Kinder – deutsche und ausländische – lernten, unterschiedliche Sprachen und die dahinter stehenden Kulturen als gleichwertig zu respektieren.

„Die Birne, die am Essenstisch gereicht wird, benennen wir den Neuankömmlingen auf deutsch und türkisch“, veranschaulicht Viereck. Dies sei möglich, da vier der 18 Erzieherinnen Türkinnen seien, die fließend deutsch sprechen würden. „So können wir ausländische Kinder, die in ihrer ersten Zeit hier oft vom Deutsch überflutet werden und stumm bleiben, sofort in den Alltag integrieren.“ Zwei dieser Erzieherinnen tragen Kopftuch.

„Ich saß erstmal da und verstand gar nichts“: Müvet Cekel, türkische Leiterin der Kita-Gruppe „Power-Kids I“ für Drei- bis Sechsjährige, kann gut nachempfinden, wie sich Kinder fühlen, die hier ankommen. Damals, mit elf Jahren, ging es ihr genauso: Frisch angekommen in Deutschland, hineingesteckt in eine deutsche Schulklasse. Die dunklen Augen der jungen Frau blicken nachdenklich. Sie muss an Christel-Liz denken, das philippinische Mädchen in ihrer Gruppe, das vor knapp einem Jahr hier ankam. „An ihr habe ich mal wieder deutlich gesehen, wie schwierig der Anfang ist.“ Zuerst habe die Vierjährige nur still gesessen und geguckt. Erst jetzt beginne sie, sich ganz langsam zu öffnen. „Für die Mehrzahl, die türkischen Kinder, ist das hier leichter. Die haben ja gleich die türkischen Erzieherinnen und Kameraden.“ Nur rund 15 Prozent der Kinder sind weder deutsch noch türkisch.

Schüchtern ist Christel-Liz schon noch, wie sie da inmitten ihrer türkischen Kameraden beim Mittagessen sitzt. Aber nur ein bisschen. Immer wieder lugt sie wachsam nach rechts. Dort sitzt Devne, der Wonneproppen der Gruppe, und grinst fröhlich zurück. Münder und Finger der beiden Mädchen sind mit Kartoffelstückchen verschmiert, gemeinsam manschen sie im Essen herum, das vor ihnen auf dem kniehohen Kindertisch steht. Devne brabbelt etwas auf Türkisch, Christel-Liz gluckst vor Vergnügen, überlegt kurz und antwortet auf philippinisch. Noch ein prüfender Blick auf die Nachbarin, dann gackern die Mädchen gemeinsam los. Der Bann ist gebrochen. „Lecker“, ruft die Türkin, und zeigt auf ihren Teller. „Lecker.“ Auch Christel-Liz' Stimme klingt ganz aufgeregt.

Digdem darf schon bei den Großen sitzen. „Nach den Sommerferien komme ich in die Schule“, verkündet die sechsjährige Türkin stolz. Das Deutsch klingt perfekt. Ob sie türkisch rede? Nein, Türkisch könne sie nicht so gut. Mit einem verwegenen Grinsen fügt sie fast belehrend hinzu: „Ich bin hier in Hamburg geboren. Ich spreche nur deutsch.“ Ein normales Verhalten. Sobald die ausländischen Kinder in der deutschen Sprache sicherer seien, würden sie immer mehr deutsch sprechen, so Gruppenleiterin Cekel. Das beginne ab dem fünften Lebensjahr.

„Im Grunde sind es nur die Jüngeren, die viel türkisch reden“, stellt sie klar. „Vor allem, wenn sie intensiv untereinander spielen, oder wenn es um Gefühle geht.“ Von Seiten der Erzieherinnen finde alles auf Deutsch statt: der Morgenkreis, die Gesprächsrunden, die Spiele. Nur wenn ein türkisches Kind etwas nicht verstehe, übersetze sie oder eines der Kinder auf Türkisch. Auch Kita-Leiterin Viereck betont: „Wir haben hier kein Türkisch-Programm, Türkisch lernen die Kinder nur nebenbei.“

„Mann, jetzt redet doch mal deutsch.“ Deutsche Kinder beschweren sich schon mal, wenn die Jüngeren nur türkisch reden. Aber nur sehr selten. Und ohnehin: „Das viele Türkisch ist eine Ausnahme, jetzt während der Schulferien.“ Zurzeit besuchen vor allem ausländische Kinder die Wilhelmsburger Kita. Deutsche Kinder verreisen.

Türkisch sprechen – gerade im Umgang mit den Eltern der Kinder mache sie damit gute Erfahrungen, erzählt die Erzieherin. „Ich spüre täglich, wie erleichtert türkische Eltern sind, wenn sie in ihrer Muttersprache mit mir reden können.“ Modisch gekleidet ist sie. Schwarze Hose, das hellblaue Oberteil auf Taille geschnitten, die Fußnägel blau lackiert. Ihr dickes halblanges Haar, flott frisiert, ist unbedeckt. Ob sie denn nie überlegt habe...? „Nein.“ Sie schüttelt den Kopf. Auch wenn ihre kopftuchtragenden Kolleginnen „beste Erfahrungen“ machten.

„Gerade ausländische Mütter gehen besonders gerne auf die Frauen mit Kopftuch zu“, erzählt Ursula Viereck. Und die deutschen Eltern? Kommen da keine Einwände? Nein, da gebe es keine Probleme. Die Wilhelmsburger seien „die Kopftücher ja gewohnt“. Skeptisch seien anfangs vielmehr die türkischen Eltern gewesen. Nicht wegen der Kopftücher, sondern wegen der auch türkisch sprechenden Erzieherinnen. „Mein Kind soll doch deutsch lernen – hier wird nur türkisch geredet“, so die Eltern-Sorge. Inzwischen seien jedoch auch sie vom Förderkonzept der Kita überzeugt.

Das Konzept – wo liegen seine Vorzüge, und was ist verbesserungswürdig? Diese Fragen soll das Forschungsprojekt „Sprachentwicklung zweisprachiger Kinder im Elementarbereich“ beantworten, das Sprachförderung an Hamburger Kitas noch bis 2004 unter die Lupe nehmen wird. „Die Didaktik der Zweisprachigkeit ist in Deutschland erst in den Anfängen“, erläutert Jugendsenatorin Ute Pape (SPD). Erst jetzt, da es heiße, „die Zuwanderer bleiben hier“, werde diese Art der Integration ein Thema. Deutschland könne sich hier ein Beispiel an Ländern wie Holland nehmen, wo die Mehrsprachigkeit und das gleichberechtigte Nebeneinander verschiedener Kulturen seit den 70er Jahren zum Erziehungsprogramm gehörten.

Julia hoppelt etwas unbeholfen von einem Bein aufs andere. Ihre blonden Zöpfe wackeln fröhlich mit. „So sind wir im Kreis getanzt“, erklärt das deutsche Mädchen versonnen. „An meiner Hand war Navi, das indische Mädchen. Geführt hat uns Didgem.“ Vorige Woche war das, beim Sommerfest. Als sie den Eltern den türkischen Folkloretanz vorgeführt haben. Alle zusammen. Deutsche, türkische, polnische, kroatische, asiatische, afrikanische ... Kinder.

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