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parteiverbot bestätigtSchädlich für die Demokratie

Meist ist die politische Elite der Türkei entsetzt, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ein Urteil fällt. Denn vielfach bekommen die Kläger Recht gegen den türkischen Staat. Nun können ergraute Politiker, stramme Generäle und Ideologen, die ihre Feder im Sinne der Herrschenden schwingen, einem Urteil zujubeln. Die Straßburger Richter haben das Verbot der islamistischen Wohlfahrtspartei durch das türkische Verfassungsgericht im Jahr 1998 für rechtens erklärt. Die Richter haben somit das Verbot einer Partei bestätigt, für die immerhin jeder fünfte türkische Bürger gestimmt hatte.

Kommentarvon ÖMER ERZEREN

Diese Bestätigung des Verbots ist konsequent. Zum einen genießt der politische Islam kein Ansehen in Europa. Zum anderen gäbe es Legimationsprobleme, wenn man den Türken vorbehielte, was in EU-Staaten recht und billig ist. Wer hierzulande die NPD verbieten will, der muss auch dem türkischen Staat zubilligen, die Wohlfahrtspartei auszuschalten. Die Bedrohung der verfassungsmäßigen Grundordnung kann – legt man es darauf an – immer abgeleitet werden. Findet man nichts im Parteiprogramm, dann liegt das belastende Material auf der Straße: der Organisationsaufbau, die Rhetorik der Politiker und die Parteipropaganda.

Doch die Frage muss erlaubt sein – in Deutschland wie in der Türkei –, ob ein Parteienverbot zur Bekämpfung undemokratischer Strömungen überhaupt sinnvoll ist. So könnte es durchaus sein, dass etwa härtere Strafen für rassistische Gewalttäter wirkungsvoller sind als das Verbot der NPD. In der Türkei wiederum löst sich der politische Islam bereits von selbst auf. Daran wirkte der Staat zwar mit: Zuerst wurde der islamistische Ministerpräsident Necmettin Erbakan durch einen Putsch aus dem Amt entfernt, ein Jahr später seine Wohlfahrtspartei verboten. Dennoch spricht vieles dafür, dass es nicht diese staatlichen Interventionen waren, die den politischen Islam zunehmend unattraktiv machten – sondern die Erfahrungen, die viele TürkInnen mit den Islamisten in der Regierung Erbakan machen mussten. Die Nachfolgeparteien haben daher dem Gottesstaat abgeschworen und orientieren sich sowieso schon zur bürgerlichen Mitte.

Angesichts der historischen Erfahrungen der Linken in Europa sollte man schließlich nicht vergessen, dass Parteiverbote oft genug diejenigen treffen, die eine andere – menschlichere – Verfasstheit der Gesellschaft anstreben.

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