in fußballland: CHRISTOPH BIERMANN über die Kölner Fußballfauna
Im Zeichen der Ziege
Ja, ich lebe in Köln! Und das kann in der großen Stadt am Rhein nie einfach nur eine Feststellung sein, sondern ist selbstverständlich immer ein Bekenntnis. Oder, um es mit Michael Trippel, dem Stadionsprecher des 1. FC Köln, zu sagen: „Willkommen in der schönsten Stadt Deutschlands.“ So begrüßt er, einem längst tief verwurzelten Ritual folgend, vor allen Spielen im Müngersdorfer Stadion das Publikum, ob es nun aus der schönsten oder aus weniger schönen Städten des Landes angereist ist. Mit Hybris hat diese Begrüßung nichts zu tun, oder nur insofern, als der heitere Wahn von der eigenen Größe zum kölschen Wesen gehört wie das Kaninchen zur Ziege. Doch dazu gleich mehr.
Für die Pflege eines solch prächtig ausgebildeten Heimatgefühls ist im Schatten des Doms nicht zuletzt der Express zuständig. Die schnelle Zeitung vom Rhein, wie sie sich selbst lobt, ist daher natürlich auch bei der Berichterstattung über den ersten Fußballklub der ersten Stadt stets auf der Überholspur unterwegs, auch wenn sie sich mitunter vielleicht etwas zu sehr auf die Kraft der eigenen Fantasie verlässt. Aber nicht im vorliegenden Fall, der dieser Tage episch und mit viel tief empfundenem Gefühl zwei der beliebtesten Sujets von Boulevardzeitungen zu verbinden wusste: Fußball und Tiere.
Das ergibt sich in Köln sowieso fast von selbst, weil doch die Stadt, na ja, auf jeden Fall der Verein, ganz im Zeichen der Ziege beziehungsweise des Geißbocks steht. Im Vereinswappen ist der fest angenäht und zu den Spielen reist Hennes VII., wie seine aktuelle fleischliche Erscheinung gerade heißt, im so genannten „Hennes-Mobil“ aus dem Stall von Bauer Wilhelm Schäfer in Köln-Widdersdorf (kein Witz) nach Müngersdorf ins Stadion, um dort seiner Arbeit als Maskottchen nachzugehen. Zu den Aufgaben des „Kult-Stars“ (Express) gehört es selbstverständlich auch, gelegentlich beim Training vorbeizuschauen oder zu Beginn einer Saison die neu hinzugekommenen Profis zu begrüßen.
Genau das sollte er dieser Tage – doch unter welch erschwerten Umständen. „Hennes trauert um seinen Freund“, lasen wir mit Entsetzen in der Überschrift und dann mit zitternden Händen weiter. „Ausgerechnet vorm ersten Heimspiel des FC . . .“, begann der fein ziselierte Bericht nur andeutungsvoll die ganze Tragik des gehörnten Paarhufers auszubreiten. „Der Hennes ist unglaublich traurig, hat gestern Morgen nicht gegessen. Der Tod von Willi hat ihn sehr getroffen“, erzählt uns dann Bauer Schäfer.
Doch wer ist dieser Willi, dessen Ableben sich wie eine schwarze Wolke über Deutschlands populärste männliche Ziege gelegt hat? Nun, Willi ist ein Kaninchen, das aber, bitte schön!, nicht mit dem Karnickel verwechselt werden darf, das Berti Vogts einst bei seinem „Tatort“-Auftritt trug. Vielmehr teilte der nach zehn Jahren Lebenszeit sanft an Altersschwäche zugrunde gegangene Rammler lange Zeit den Stall mit der nun einsamen Ikone des 1. FC Köln.
Angesichts des Schicksalsschlags, einen echten Freund – die als „echte Fründe“ im Kölner Liedgut fest „zusamme stan“ – verloren zu haben, würde sich manch einer hängen lassen. Aber nicht so in der schönsten Stadt Deutschlands. Der Express hat uns nämlich eine Geschichte zu erzählen, die Mut macht: „Hennes, der Super-Bock. Ein echter Fan. Trotz Trauer tauchte er gestern pünktlich am Trainingsgelände des FC auf. Und konnte wieder ein wenig lächeln.“ Hurra!
Ja, ich lebe in Köln! Denn nur hier sind die Herzen der Menschen offen für Geschichten von toten Kaninchen und trauernden Ziegen. Wen das nicht rührt, wird niemals Kölner. Und wer einen stummelschwänzigen Nachrücker (am besten in Willi-Weiß mit schwarzen Flecken) für Hennes VII. übrig hat, soll sich an Bauer Schäfer, Zum neuen Kreuz 14 in Widdersdorf wenden. Köln wird es euch danken.
Fotohinweis:Christoph Biermann, 40, liebt Fußball und schreibt darüber.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen