piwik no script img

Der virtuelle Coach

Experten-Talk als Trash: Trainer Otto Rehhagel selektiert sich in der „Zeit“ seine Traumelf für die WM 2002 zurecht

Wer in der Redaktion der Zeit hat eigentlich Otto Rehhagel zum virtuellen Bundestrainer berufen. Und warum? Weil man im Goethe-Fan einen Wahlverwandten vermutete? Weil er die italienische Speise liebt und zwischen Deckung und Wahrheit so wunderbar von der kontrollierten Offensive schwärmt? Oder weil nur einer, der für 15 Jahre die Leiden Werders linderte, die deutsche Gretchenfrage beantworten kann? Wen schicken wir im Sommer 2002 nach Japan und Korea, um dort den Titel des Fußball-Weltmeisters zu erringen?

Nach jedem Bundesligawochenende wird der Bannstrahl von „König Otto“ (Bild u. a.) nun via Zeit einen jener 54 Kicker treffen, die er selbst als sein vorläufiges Aufgebot nominiert hat. Erstes Opfer war gestern der Keeper Martin Pieckenhagen. Weil der „noch eine Weile braucht, bis er sich in Hamburg eingelebt und eingespielt hat“, lässt Rehhagel schreiben. Hm? Aber vielleicht ja auch, weil er keiner ist von den „Typen, die dafür sorgen, dass das Schiff selbst bei Windstärke 12 nicht untergeht“. Solche Kaliber hatte „der demokratische Diktator“ (Rehhagel über Rehhagel) schon vergangene Woche für den deutschen Fernost-Einsatz gefordert. Man dürfe nämlich „nicht vergessen: Die nächste Weltmeisterschaft in Asien findet möglicherweise unter ziemlich extremen Witterungsbedingungen statt“.

Wie extrem ist schon jetzt das Binnenklima in der Zeit, könnte man sich besorgt fragen, wenn auf einer Seite, deren Ästhetik zwischen RAF-Fahndungsplakat und Panini-Album schwankt, das Elend der deutschen Fußballkultur so gänzlich reflexionslos reproduziert wird. Wenn die faktischen Fortschritte der deutschen Fußballkultur nun auch noch durch die Maxmerkelisierung des Zeit-Diskurses desavouiert werden. Fördert nicht die wöchentliche Penetration mit dem populistischen Schwachsinn Rehhagels („Auch nach dem vierten Spiel in kurzer Folge muss es jemanden geben, der bei einem Elfmeterschießen sicher verwandelt“) die DSFisierung der Zeit? Die konsequente Verlängerung des vermeintlichen Experten-Talks – als Trash?

„Oft“, hat Rehhagel schon zu Eröffnung angemerkt, „entscheiden die viel beschworenen Standardsituationen ein knappes Spiel.“ ULRICH FUCHS

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen