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Style und Gruppenidentität als Politik

■ Neuerscheinung im Argument-Verlag: Stefanie Menraths „Represent What...“ befasst sich mit Konzepten von Identitätsbildung im HipHop

Lange bevor die großen Verlage Cultural Studies als Modethema für sich reklamierten, war es der Hamburg/Berliner Argument-Verlag, der sich – zum Beispiel mit der dreibändigen Schriftenauswahl Stuart Halls – um eine Vernetzung der hiesigen gesellschaftskritischen Diskussionen mit der britischen Theorie-Schule bemühte. Dieser ging es um die Möglichkeiten des Widerstands in jenen Formen der Alltagspraxis, die nach dem landläufigen Deutungsmuster der kritischen Theorie als massenkultureller Schund abgetan wurden, der seiner Warenförmigkeit wegen noch die widerspenstigste Handlung vereinnahmbar mache.

Dagegen verteidigten die Cultural Studies mit Blick auf die Massenkultur eine Eigenmächtigkeit der sozialen Akteure. Demnach entwickeln Menschen in der Popkultur eigene Handlungsformen und Identitätsmuster, subversive Strategien der Selbstermächtigung. Solche Theorien konnten vor allem diejenigen begeistern, die die beschriebenen Widerstandsformen in einzelnen Popkulturen lediglich aus den blumigen Beschreibungen der Sekundärliteratur kannten; eine Kluft zwischen akademischer Hochkultur und weitgehend antiintellektueller Poppraxis, die auch durch das Bemühen des Argument-Verlags nicht geschlossen werden konnte; eine Kluft, auf der nicht zuletzt die deutsch-nationale Tradition von Kultur und Bildung lastet, wie es sie in Großbritannien oder den USA nicht gegeben hat.

Die jüngst erschienene Studie von Stefanie Menrath, Represent What... untersucht – unter anderem inspiriert von den Cultural Studies– zum ersten Mal für den deutschsprachigen Raum „Performativität von Identitäten im HipHop“, so der Untertitel. Identität, so ließe sich die Ausgangsthese der Autorin übersetzten, ist heute nicht mehr klärbar in den Kategorien der großen Systeme des Idealismus, mit Fichte, Hegel, Schelling, sondern eine Frage der kulturellen Praxis, der „Performativität“ – das heißt der Inszenierung und Repräsentation von Identität im Alltagshandeln.

Theoretischer Startpunkt ist das Konzept der Performativität bei Judith Butler, einer Philosophin, die vor einigen Jahren die Fachwelt durch ihre Neubestimmung von Körper und Geschlecht irritierte. Butlers Idee, dass – verkürzt gesagt – alles Wirkliche und scheinbar Wesentliche diskursbestimmt ist, macht Menrath für den HipHop stark. HipHop sei nicht „Ausdruck einer sozialen Identität ..., sondern Mittel zur Identitätsbildung“. Und die ziele sowohl auf eine individuelle Identität – den Style –, eine Gruppenidentität und eine Identitätspolitik. Um das theoretisch zu fundieren, kommt Menrath der Habitusbegriff Pierre Bourdieus zur Hilfe, sowie ein Subkulturkonzept, wie es Kathrin Wildner vorgeschlagen hat: Subkulturen als städtische Praxis, als „eine Art von Community“.

Spätestens hier wird deutlich, wie sehr das Buch derzeitige linkspolitische Debatten in Hamburg tangiert (und auch die Hamburger HipHop-Szene tangieren könnte). Anders als in der klassischen Hip-Hop-Literatur geht es Menrath weniger um den Text, den Rap, sondern um die Geste des Rap, um den Körper, um die Interaktionsformen, die sich nicht in der Unmittelbarkeit der Sprache entschlüsseln lassen. Gleichwohl stützt sich die Autorin, die selbst als DJ arbeitet, auf Interviews, auf den „Diskurs als Feldforschungssituation“.

Fraglich, ob dabei nicht – ähnlich heikel wie oft in den Cultural Studies – gelegentliche Unmutsäußerungen der Akteure als Politik oder Widerstand überinterpretiert werden. Menrath resümiert: „Für Hip-Hop gibt es unterschiedliche Sprachen – auch im HipHop. Diese Widersprüche wollen die HipHopper gar nicht auflösen. Vielmehr zeigen sie ..., dass auch ohne Totalität einer gemeinsamen Positionierung politische Arbeit möglich ist. Die spezifische Ästhetik der Performativität schafft Raum für die niemals endgültigen Positionierungen.“

Wenn man die „Anwendung“ Judith Butlers in der HipHopszene um Mannheim – mit Musikern wie Torch zum Beispiel – erst einmal nachvollzogen hat: Was meint dann die politische Arbeit? Mit Butler wäre eine Analyse von Rassismus, Nationalismus und Sexismus im Kontext von HipHop interessant gewesen, die aber bei Menrath bloß vage Andeutung bleibt. Die These, dass Style eine individuelle Identitätspolitik bedeutet, ist praktisch unzureichend, obwohl es hier theoretisch plausibel klingt. Doch die politische Arbeit an den Begriffen bleibt in Represent What... ungenau. Aber das ist auch als „niemals endgültige Positionierung“ lesbar.

Roger Behrens

Stefanie Menrath, Represent What ..., Argument Hamburg 2001, 180 S., 29,80 Mark

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