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Süchtig nach Pressluft

■ Schwerelos schweben, lautlos gleiten: Der Bremer Unisee hat berauschende Ansichten für Tiefenfreaks Text: Kai Schöneberg Fotos: Julia Baier

Jacques Costeau war sicher neben Wickie, Mama und Evel Knevel einer der größten Helden unserer Jugend. Mit seinem Forschungs-schiff „Calypso“ kreuzte der kregle Greis über die Weltmeere, mit schlohweißem Haar stieg er in reißende Tiefen, stöberte nach Schatztruhen in gesunkenen Dschunken, stellte gewaltigen Stachelrochen nach, forschte nach Seeungeheuern und fischte antike Amphoren vom Grund der Ägäis. Ein Übermensch, ein männliche Nixe. Der Opa der Weltmeere ist leider längst tot, die Sehnsucht, es Costeau gleichzutun, hat eigentlich nie nachgelassen. Bloß wie, ohne direkt in die sündhaft teure und wahnsinnig weite Südsee zu steigen?

In Bremen gibt's ja den Unisee – im Grunde eine fiese Plörre. Jeder pupt und pinkelt rein, nackte Füsse waten über schleimige Algen, verfangen sich in toten Pflanzen, das Wasser schimmert gräulich-grün. Müllanlage im Blick, Coladosen am Strand, Sonnenöl-Reste im Wasser. Und dieses Remmidemmi! Die Bremer pilgern zu ihrer größten Badewanne wie die Moslems gen Mekka. Und hier sollen wir tauchen gehen? Aber ja doch!

„Im Unisee lebt ein 1,80 Meter-Hecht. Als Mann würde ich da nicht baden gehen“, meint Pit Clausen, der Chef von „Pits Tauchbasis“. Und man zweifelt, ob seine Angst um beste Stücke nicht doch echt sein könnte. Pit hat in seinem Taucherleben schon einiges weggetaucht: Die erste Maske bekam er mit drei, seitdem hat er Schiffsschrauben in Südamerika geborgen, Basen auf Elba, in Brasilien und in Kanada geleitet. Pit hat Haie auf den Malediven gestreichelt und war einer der ersten Europäer, der im Roten Meer auf 100 Meter Wassertiefe sank. Und dennoch geht er gerne in den Bremer Seen unter Wasser: „Das Feeling ist das Wichtige: die Schwerelosigkeit, mit niemandem reden müssen – und so schlecht ist die Sicht gar nicht.“

Ob Coco-Inlands oder Waller Feldmarksee – eigentlich sei es schnurz, wo man abtaucht: „Durch den Adrenalinschub in der Tiefe werden körpereigene Opiate ausgeschüttet“, meint auch Geli Beckemeier, eine der sechs TauchlehrerInnen der Basis. „Das bringt den Kick.“ Geli taucht auch im Winter, unter dem Eis des Hemmoors zum Beispiel. Weil: „Pressluft macht süchtig.“

Und das brauchen Tiefenjunkies: Neopren-Anzug, Flossen, Schuhe, Maske, Bleigurt und eine Flasche Pressluft. „Da passen 2.000 Liter rein – etwa soviel wie in eine Telefonzelle“, sagt André Scharfenort, Schnuppertauch-Lehrer. Dann erklärt er behutsam das Einmaleins der Tauchsprache: Zeigefinger und Daumen zum Kreis geformt heißt „alles o.k.“, Daumen hoch „sofort auftauchen“. Andrés letzte Anweisungen: „Nicht zu sehr auf das Mundstück beißen, einfach nur atmen. Wenn die Ohren schmerzen, den Druckausgleich durch die Nase nicht vergessen!“ In der Ferne kreischen Kinder, ein paar Sonnenbader blinzeln gen Tauchtrupp. „Und los.“ Au weia!

Rund eine Woche dauert es, einen Schein zu machen. „So 30 Stunden Theorie und Praxis müssen es schon sein“, sagt Tauchchef Pit. „Dann hast du einen Tauchführerschein für alle Gewässer der Welt.“ Und es gibt noch mehr zu lernen: Tief-, Wrack-, Nacht- oder sogar Höhlentauchen.

Blubblubblub – wir sinken! Nur ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer Schritt für die Schnuppertau-cher. Elegant schmiegen wir uns in die Wellen, fast schwebend flösseln wir gen Grund. Das Wasser ist klar wie im Aquarium und schimmert in tausend Farben. Vom Boden ziehen sich langstielige Pflanzen meterlang in die Höhe. Ab und an Algen wie grüne riesige Wattebäusche, dann hier ein Turnschuh, dort ein altes Paddel, an dem sich Süßwassermuscheln festgesogen haben. Fast eine halbe Stunde sind wir unterwegs, bis zu fünf Meter Tiefe geht es. Und: Der Unisee lebt!

Oben treiben die Umrisse einer Luftmatratze vorbei, und ab und an ein paar Barsche. Auch gründelnde Welse soll es geben. Schwärme kleiner Minifische zucken wie ferngesteuert gleichzeitig in dieselbe Richtung, dann zeigt Guide André auf einen grünlich schimmernden Pfeil, der am Grund ganz heimlich, still und leise auf der Pirsch liegt. Der König des Sees, wie ein Tiger auf der Lauer, das langgezogene Maul mit den Raubtierzähnen bewegt sich atmend auf und ab, die Kiemenflossen fächeln langsam: der Monsterhecht – oder wenigstens sein knapp 50 Zentimeter langer Neffe.

Tauchen in und um Bremen: www.ltv-bremen.de, Pits Tauchbasis, Tel.: 0172/5633066.

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