frankie goes to edmonton: „Fun, fun, fun“ als neue Devise der DLV-Athleten
Maximum Joy
John Godina aus den USA ist ein Bär von einem Kerl: ein Nacken wie ein Metzger, Oberarme wie ein Bierkutscher, Hände wie ein Schmied. Und wenn John Godina, ein gutes Stück über 1,90 Meter groß und satte 130 Kilo schwer, einem mit stahlblauem Blick in die Augen schaut, bekommt man ganz schnell so ein flaues Gefühl in der Magengegend und beschließt, lieber keine Scherzchen mit diesem Herkules zu treiben, es könnte böse enden.
In Edmonton ist John Godina übrigens gerade Weltmeister geworden im Kugelstoßen. Auf 21,87 Meter hat er das 7,25 Kilogramm schwere Gerät aus Eisen gewuchtet und dabei geschrien wie ein Stier – vor Glück und Freude natürlich, aber dennoch so, dass einem auch ein bisschen Angst und Bange werden konnte.
Ralf Bartels aus Deutschland ist auch Kugelstoßer, allerdings ein etwas kleinerer. Nur auf 1,84 Meter Körpergröße und magere 110 Kilo bringt es der junge Mann aus Neubrandenburg. Und weil er noch recht jung ist, 23 nämlich, und noch ein rechtes Babyface hat, erinnert er eher an ein Plüschbärchen als an einen, sagen wir mal Grizzly, so wie Godina einer ist.
Bei der WM in Edmonton war Bartels übrigens auch am Start, allerdings nur im Vorkampf. Dort musste er sich mit 19,41 Meter und dem vorzeitigen Ausscheiden begnügen, was aber nicht weiter als tragisch empfunden wurde. Denn auch wenn Bartels nicht so weit stoßen mag wie Weltmeister Godina, so ist er doch immerhin ein lustiges Kerlchen, das schon mal einen Scherz mit sich machen lässt. Und das ist allemal wichtig, wenn man für den Deutschen Leichtathletik Verband (DLV) bei so einer WM an den Start gehen möchte, zumal, wenn es das erste Mal und man also noch Novize ist.
Wie wichtig, haben wir kurz vor WM-Beginn am Freitagabend erfahren und zwar im so genannten Deutschen Haus. Dort, im Petroleum Club, sollen sich während der WM-Tage Athleten, Trainer, Funktionäre, Sponsoren und Medien treffen, zwanglos versteht sich, so mal eben auf ein Bierchen am Abend; und dort war es auch, wo Ralf Bartels erzählt hat, wie viel Humor es bedarf, um für die deutsche Leichtathletik überhaupt starten zu dürfen.
„Ich musste einen Bauchtanz machen“, verriet der Neubrandenburger unter anderem, was er bestimmt prima hingekriegt hat; außerdem wurden er und alle anderen Mannschaftsneulinge, von denen es diesmal ja ganz besonders viele gibt, dazu genötigt, ein kleines Gedichtlein zu reimen und zum Vortrag zu bringen. Taufe nennen sie das beim DLV – und wie bei jeder Taufe bekommt man dabei einen Namen.
Ralf Bartels beispielsweise heißt hier in Edmonton nicht mehr Ralf Bartels, sondern Dicki Ralfi. Und damit Dicki Ralfi seinen neuen Namen nicht vergisst, hat er eine Pappmedaille angeheftet bekommen, auf der alles draufsteht. Sollte Dicki Ralfi allerdings die Pappmedaille einmal vergessen, drohen üble Sanktionen, die wiederum vom Oberguru verhängt werden. Oberguru ist Oliver-Sven Buder, wie Dicki Ralfi Kugelstoßer und wie der ebenfalls vorzeitig ausgeschieden mit nur 18,89 Metern. Ein übles Schicksal, das übrigens auch die Hammerwerfer Holger Klose (74,02 m) und Karsten Kobs (erst gar nicht gestartet), der Sprinter Tim Goebel (10,31 Sekunden) sowie die Stabhochspringerin Annika Becker teilten.
Aber vielleicht sind solche Dinge gar nicht mehr so wichtig im Verband der deutschen Leichtathleten. „Die Stimmung muss stimmen“, hat Dicki Ralfi jedenfalls gesagt, und sein Präsident hat schon zuvor erzählt, dass er es mag, wenn man den Nachwuchs als „Love Parade mit Spikes“ beschreibt. Love Parade klingt nach Fun, jeder Menge Fun – und ein bisschen auch nach Drogen. Aber das ist schon wieder ein ganz anderes Thema und weit weniger lustig, schließlich hat man gerade eben wegen eines Verfahrensfehlers der Russin Olga Jegorowa nun doch die Starterlaubnis erteilt über 1.500 Meter und 5.000 Meter, obwohl sie doch kürzlich erst mit dem Blutdopingmittel Epo im Körper erwischt worden war.
Da sind die Schlagzeilen, die die Deutschen schreiben, dann doch positiver, selbst wenn andere schon mehr gewonnen haben. Die Pressemitteilung mit der Überschrift „Young German team having fun in Edmonton“ jedenfalls war sofort vergriffen, seitdem wollen die ausländischen Kollegen ständig irgendwelche Witzchen mit uns reißen, wenn sie uns über den Weg laufen. Aber das geht natürlich nicht, weil sich hier nicht auch noch die deutsche Presse gebärden kann wie beim Kindergeburtstag. Dafür haben wir ja schon Dicki Ralfi und seine Freunde. FRANK KETTERER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen