: www.wirstellenallesvoll.de
■ Im Auftrag der norddeutschen Ziegelindustrie durfte die Bremer Hochschule für Künste mal richtig phantasieren: Über 30 Mitwirkende bauten Oldenburg neu. Hoch flog der Traum, doch ganz schön tief unten kam er an
Sollen die Domtürme eigentlich für immer da bleiben, wo sie sind? Oder die Spitzen der Oldenburger Lamberti-Kirche? „Nein“, meinen Kirsten Brünjes und Cordula Prieser und verpflanzen die kegelförmigen Turmdächer der Oldenburger Innenstadtkirche quasi über Nacht auf den Schlossplatz davor. Wuchtiger, seltsamer und vor allem viel größer wirken die eben noch so vertrauten Türme in ihrer neuen Umgebung und verwandeln das Überqueren des Platzes in einen Hindernislauf. Allerdings nicht in echt, sondern bloß virtuell – im Internet.
www.wirbaueneinestadt.de heißt die Adresse, unter der sich Brünjes, Prieser und 31 weitere StudentInnen und GastkünstlerInnen von der Bremer Hochschule für Künste (HfK) ein Jahr lang ausgetobt haben. Wir bauen eine Stadt: Das klingt nach kühnen Ideen, radikalen Neuerfindungen, einer wenigstens ins Netz gebauten Utopie. „Meine Vision war: Realisierung ausgeschlossen“, sagt der HfK-Professor für Keramik und Projektinitiator, Fritz Vehring, und schickt nicht ohne Pathos hinterher: „Es geht um Utopien, und wer realisiert schon eine Utopie?“
Der Fachverband Ziegelindustrie Nord e.V. zum Beispiel. Der ist nach Vehrings Kenntnissen einer der ältesten, wenn nicht gar der älteste bestehende Industrieverband der Welt und feierte jüngst sein 125-jähriges Bestehen. „Deutlich über 100.000 Mark“ haben die norddeutschen Ziegelbrenner nach Angaben des Verbandsvorsitzenden Hans-Heinrich Meier aus Weyhe für den kulturellen Teil des Jubiläumsprogramms ausgegeben. Nun hätten sich die Fabrikanten eines der ältesten Baumaterialien der Welt für das Geld auch etwas kleines, sagen wir, von Per Kirkeby (zum Beispiel: Aufsichtsturm auf der Domsheide) kaufen können. Doch Meier und Co. setzten lieber auf die Jugend und auf frische Ideen. Und auf das Internet setzen sie auch, damit vom modernen Touch des neuen Medium auch etwas auf den wohl erstmals um 4.500 vor Christus auf Kreta verbauten Ziegel an sich abfärbt.
In fast vollkommener Freiheit konnten sich die BildhauerInnen und Web-GestalterInnen sowie die MusikerInnen, die am vergangenen Wochenende den tönenden Teil des Festprogramms bestritten, ans Werk machen. Für die bildenden KünstlerInnen gab es neben der Virtualität des Projektes nur eine weitere Einschränkung: Das Baumaterial für die Phantasiegebäude sollte Ziegel sein.
Beim Stöbern auf den wirbaueneinestadt-Seiten im Netz und im umfangreichen Katalog sowie beim Begucken der zunächst nur für die zwei Jubiläumstage aufgestellten Modelle fällt eins auf: Freiheit, auch eine fast vollkommene, ist schwer. Nur wenige sind so, nun ja, kühn wie Cordula Prieser und Kirsten Brünjes mit ihrer Kirchturmverpflanzung. Eine ähnlich groß dimensionierte, dem Medium entsprechende Idee hatte auch Katharina Hagemann: Sie fotomontiert hausgroße Ziegelsteine in die Oldenburger Innenstadt und ersetzt damit Alt- oder Neubauten. Leider ist der Einfall, der architektonische Eingriffe ganz beeindruckend visualisiert, nur auf ein Bild beschränkt. Daraus hätte viel mehr werden können.
Neben weiteren teils hübschen, teils geistreichen Eingriffen wie Vehrings durchs Blau-Anmalen in eine Moschee verwandelter Pulverturm oder Ute Alexandra Fischers Selbstinszenierung als Meerjungfrau haben sich die meisten anderen nicht freistrampeln können. Es entstehen mal bizarre, zum größten Teil aber durchaus realisierbare Entwürfe für eine Stadtmöblierung. Brunnen im Look von Niki de Saint-Phalle und Anti-Helden wie Don Quijote werden da auf Oldenburgs Waffen-, Schloss oder nördlichen Bahnhofsvorplatz gestellt. Das sind zwar meistens Gegenentwürfe und Ironisierungen der Denkmale. Aber von dem im Projekttitel formulierten Anspruch bleiben die meisten Entwürfe weit entfernt. wirbaueneinestadt müsste eigentlich wirstelleneinestadtvoll heißen.
Christoph Köster
Die Entwürfe können für die nächsten Jahre unter der Adresse www.wirbaueneinestadt.de erkundet werden. Außerdem ist das Projekt in einem aufwändig gestalteten Katalog samt CD-Rom dokumentiert. Er ist beim Fachverband Ziegelindustrie Nord, Postfach 1809 in 26008 Oldenburg oder auch unter Tel.: 0441/2 10 26 0 erhältlich und enthält lesenswerte Aufsätze unter anderem vom ehemaligen Bau-Staatsrat Eberhard Kulenkampff und vom Urbanisten Jörg C. Kirschenmann.
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