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Ein Tribunal gegen Polizeigewalt

Italienische Juristen wollen die Polizei an den Pranger stellen. Inzwischen sprechen selbst Staatsanwälte von „systematischer Folter“ an Demonstranten

von MICHAEL BRAUN (Rom) und YASSIN MUSHABARBASH (Berlin)

Mehr als 300 italienische Rechtsanwälte haben sich zum „Genoa Legal Forum“ zusammengeschlossen. Das GLF will im Herbst ein internationales Tribunal nach Genua einberufen. Es soll – unter Mitwirkung italienischer und ausländischer Juristen – alle Facetten des brutalen Wirkens der „Ordnungs“-Kräfte während der Gipfeltage aufarbeiten. Schon in drei Wochen wollen die Anwälte ein „Weißbuch“ zu den Ereignissen vorlegen.

Der Grünen-Bundestagsabeordnete Ströbele begrüßte die Initiative. Er sei bereit, in dem Tribunal mitzuarbeiten, falls er gefragt würde, sagte er der taz. Das Tribunal könne einem Ausschuss des Europaparlaments helfen, diesen jedoch nicht ersetzen. Nur eine Kommission werde Zugang zu amtlichen Dokumenten haben. Klar sei, dass ein italienischer Untersuchungsausschuss allein nicht reiche: „Die europäischen Grundrechte waren in Genua betroffen.“ Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, hält ein Tribunal für „völlig legitim“. Gleichwohl sei die Aufklärung vorrangig Aufgabe der italienischen Justiz, sagte er der taz: „Da kann man ruhig Vertrauen in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit haben.“

Tatsächlich findet die Justiz täglich neue Details, die die Polizei belasten. Mittlerweile reden auch Staatsanwälte von „systematischer Folter“ an den Festgenommenen in der Polizeikaserne Bolzaneto. Der Staatsanwaltschaft liegen auch weitere Informationen zum Sturm auf den Sitz des Genoa Social Forum und die gegenüberliegende Schule vor. Demnach forderte ein Polizeioffizier über Funk zusätzliche Einheiten mit den Worten an: „Jetzt massakrieren wir sie.“

Dass nicht nur die unteren Chargen gewalttätig waren, zeigt ein Videodokument: Darauf tritt der Vizechef der Staatsschutzeinheit von Genua einen schon von fünf Polizisten zusammengeschlagenen Demonstranten ins Gesicht und in den Leib.

Auf der anderen Seite beschäftigt sich die Justiz mit den 49 Protestierern, die noch in U-Haft sitzen. Es sind vor allem Deutsche und Österreicher. Da gegen wenige konkrete Anschuldigungen vorliegen, will die Staatsanwaltschaft sie wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung namens Schwarzer Block mit dem Ziel der Verwüstung und Plünderung“ belangen. Sollte diese Linie vor den Untersuchungsrichtern und später vor Gericht Erfolg haben, drohen langjährige Haftstrafen, die sich auf den Besitz von schwarzer Kleidung, Campingmessern und in einigen Fällen von Hasskappen und Helmen stützen. Nach Aussagen von Anwälten und Freunden der Festgenommenen nahmen Ermittler fast alles als „Beweisstück“: Ein Wagenheber habe sich in „Stahlrohre“ verwandelt. Eine österreichische Theatergruppe sitze ein, obwohl Filmaufnahmen belegten, dass die bei ihnen gefundenen Gegenstände – Helme, Holzlatten, Gasmasken – Teil eines in Genua aufgeführten Stücks gewesen seien.

Man dürfe sich nicht die Trennung von „guten“ und „bösen“ Inhaftierten aufoktroyieren lassen, erklärte ein GLF-Anwalt. Denn sonst bestehe die Gefahr, dass die rigorose Anwendung des Anklagepunktes „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ künftig zum Damoklesschwert für jeden Demonstrationsteilnehmer werde.

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