Ein Fall von Kindstötung

Erneut hat eine junge Berlinerin ihr Kind umgebracht. Sie hätte sich helfen können, wenn sie von den inzwischen bestehenden Beratungsstellen für junge Mädchen gewusst hätte

Niemand wusste angeblich etwas von der Schwangerschaft: In der Nacht zum 27. Juli tötete eine 18-jährige Berlinerin in dem kleinen Dorf Rockstedt in Thüringen ihr Baby, kurz nachdem sie es alleine entbunden hatte.

Nach Angaben der Mühlhausener Staatsanwaltschaft war das Mädchen zusammen mit ihrer Mutter nach Thüringen zur Oma gefahren. Dort brachte die Gymnasiastin gegen 5 Uhr morgens im Schlafzimmer ein gesundes Baby zur Welt. Danach habe sie es mit Handtüchern zugedeckt, in eine Plastiktüte gesteckt und im Schrank versteckt. Zwei Tage später fand die Oma den Beutel mit der Leiche im Schrank.

„Nach Angaben der Täterin habe das Baby nicht in ihre Lebensplanung gepasst“, sagte gestern Oberstaatsanwalt Hans-Joachim Petri aus Mühlhausen in Thüringen. Die dortige Justiz hatte gegen die Gymnasiastin aus Höhenschönhausen einen Haftbefehl erlassen, allerdings unter Auflagen außer Vollzug gesetzt. „Der Fall wird an die Staatsanwaltschaft Berlin weitergeleitet, den Wohnsitz der Täterin“, so Petri. Der Haftbefehl lautet auf Totschlag.

Die Tragödie von Rockstedt ist nicht der einzige Fall von Kindstötung durch junge Mütter: Im Februar 1998 drückte eine Schülerin aus Marzahn ihr Baby so lange in ein Handtuch, bis es aufhörte zu schreien. Danach warf die 15-Jährige den Säugling aus einer im 10. Stock gelegenen Wohnung. Im August 1999 erdrückte eine 16-jährige Marzahnerin ihr Baby und verbrannte es anschließend im Wald.

„Das Motiv der jungen Mütter ist oft Angst“, sagt Gabriele Stangel, Pastorin und Initiatorin der Babywiege am Krankenhaus „Waldfrieden“ in Zehlendorf. Zur ihr kommen vorwiegend Mädchen zwischen 14 und 18 Jahren. „Die meisten gehen noch zur Schule. Wenn sie schwanger werden, fühlen sie sich der Situation nicht gewachsen, schämen sich und fürchten die Reaktion der Eltern.“ Fälle wie in Rockstedt könnten ihrer Meinung nach verhindert werden. „So was passiert, weil die Mädchen nicht wissen, wo sie Hilfe bekommen.“ Deswegen fordert Stangel Schulen auf, mit ihren Klassen ihre Beratungsangebote in Anspruch zu nehmen. „Wir bieten Vorträge an und stellen unsere Babywiege vor.“ Ein 24-stündiges Notruftelefon existiert auch.

Auch im Krankenhaus Neukölln gibt es eine solche Einrichtung. Verzweifelte Mütter können hier ihre Neugeborenen anonym abgeben. „Die Säuglinge werden nach einer Frist von acht Wochen zur Adoption freigegeben“, erklärt Stangel. Siegbert Heck, Chefgynäkologe des Zehlendorfer Krankenhauses, will sogar noch einen Schritt weiter gehen: „Frauen müssen auch anonym entbinden können“, sagt er. Dies ist bislang in Deutschland gesetzlich nicht geregelt.

„Wir schicken keine Frau weg, die bei uns anonym entbinden will“, sagt Heck. Doch langfristig gesehen muss eine politische Entscheidung getroffen werden, damit der Staat die Kosten übernimmt.“ Und diese liegen deutlich unter den kriminaltechnischen Kosten, die entstehen, wenn ein Kind getötet wird.

SILKE KATENKAMP

Notruftelefon: 81 81 03 35