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Vergeltung und Angst vor Eskalation

BERLIN taz ■ Die erwarteten Vergeltungsangriffe als Antwort auf das Selbstmordattentat eines jungen Palästinensers fingen in der Nacht zum Freitag an. Nach der Besetzung des Orienthauses, der inoffiziellen Vertretung der palästinensischen Autonomiebehörde in Ostjerusalem, wurden neun weitere Büros der palästinensischen Polizei im Westjordanland sowie Büros der Autonomiebehörde in Ostjerusalem geschlossen. Außerdem wurde das Hauptquartier der palästinensischen Polizei in Ramallah mit Kampfflugzeugen zerstört. Menschen kamen dabei nicht zu Schaden, da das Gebäude in Erwartung möglicher Vergeltungsschläge bereits geräumt worden war. Eine Polizeiwache im Gazastreifen wurde nach einem kurzen Schusswechsel zwischen Palästinensern und israelischen Panzern mit Bulldozern niedergerissen.

Palästinenserpräsident Jassir Arafat verurteilte den Selbstmordanschlag und schloss sich damit dem Tenor der westlichen Staaten an. Er verurteilte aber auch die israelischen Vergeltungsanschläge als „absichtliche Provokation“ gegen das palästinensische Volk. Der palästinensische Generaldelegierte in Deutschland, Abdallah Frangi, sagte am Freitag im ZDF, die Gewalt drohe zu eskalieren, man könne bald nicht mehr alles unter Kontrolle bringen. Arafat wie Frangi fordern den Einsatz internationaler Truppen zur Beendigung der Gewalt.

Dies lehnt jedoch die israelische Regierung weiterhin ab. Die Maßnahmen, so der israelische Kabinettsminister Gideon Saar, sollen die Autonomiebehörde dazu bringen, ihre Verpflichtungen zur Beendigung der Gewalt zu erfüllen. Die Israelis stützen sich dabei auf den Plan der so genannten Mitchell-Kommission, der unter anderem beide Seiten zum Gewaltverzicht aufruft. Dem solle dann ein offizieller Waffenstillstand vor der Wiederaufnahme von Friedensgesprächen folgen. Ohne eine Beendigung der Gewalt auf der palästinensischen Seite sieht Israel keine Möglichkeit für eine Wiederaufnahme der Verhandlungen.

Unterdessen scheint sich die Verwirrung um die Urheberschaft des Bombenattentats vom Donnerstag gelöst zu haben. Zunächst hatten zwei islamistische Gruppierungen der Palästinenser, der Islamische Dschihad und die Hamas, das Selbstmordattentat für sich beansprucht. Beide gaben unterschiedliche Attentäter mit Namen an. Jedoch meldeten sich kurz darauf die Eltern der vom Islamischen Dschihad angegebenen Personen und sagten aus, dass ihre Söhne wohlauf bei ihnen zu Hause verweilten. Nachdem Hamas ein Video mit dem Attentäter veröffentlicht hatte, zog der Islamische Dschihad sein Bekenntnis zurück.

Auf Grund der Verwirrungen sind die israelischen Sicherheitskräfte in höchster Alarmbereitschaft und gehen davon aus, dass sich noch ein weiterer Selbstmordattentäter auf israelischem Gebiet befindet. Zu den traditionellen islamischen Freitagsgebeten auf dem Tempelberg in Jerusalem haben Sicherheitskräfte aus Angst vor neuen Ausschreitungen am Mittag nur vierzig Palästinenser zugelassen.

Der 23-jährige Attentäter Iss al-Din al-Masri hatte am Donnerstag eine mit Nägeln gespickte Bombe in einer Jerusalemer Pizzeria gezündet und damit fünfzehn Personen sowie sich selbst getötet. Seine Familie gab an, er hätte wiederholt den Wunsch geäußert, ein Selbstmordbombenattentat zu begehen. Hamas wies den Anschlag als Racheakt für die Tötung zweier Hamas-Anführer und sechs anderer Palästinenser durch Israel aus. CARMEN BECKER

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