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Das Bedürfnis, schön zu spielen

BINNENWELTEN – die taz-Serie über den unsichtbaren Alltag. Teil 4: Die Hamburger Symphoniker – ein Orchester als Arbeitsplatz, Hobby und Familie  ■ Von Stefanie Hundsdorfer

Vibrato. Wie schwebend gleiten die Finger des Solo-Cellisten über die Saiten. Kopf und Oberkörper, weit über das Instrument gebeugt, folgen den Bogenbewegungen der rechten Hand. Im Gesicht: tiefe Versunkenheit. Dahinter, im Halbkreis, wartet das Orchester auf seinen Einsatz. Es ist 10 Uhr morgens. 61 Musiker im hellen Scheinwerferlicht des NDR-Studios. Noch eine Generalprobe der Hamburger Symphoniker, heute abend Rathauskonzert, danach Gastspiel in Eutin. Dann ab in die Sommerpause.

Während der Proben-Pause sitzt Valeri Krivoborodov in der Garderobe vor dem Studio. „Wir fühlen uns wie eine große Familie.“ Der groß gewachsene Mann, seit 21 Jahren Solo-Cellist des Orchesters, breitet seine Arme aus. „Das ist die Voraussetzung für unser Zusammensein als Orchester.“ Auch andere Musiker sind im Raum. Aber nein, ein Zimmerwechsel komme nicht in Frage, schüttelt der Musiker den Kopf. Er kann vor den Kollegen reden. In einer Familie gibt es keine Geheimnisse.

Das Orchester – der größte Bestandteil im Leben eines Symphonikers. „Viele von uns verbringen hier mehr Zeit als in ihrer eigenen Familie“, erzählt Krivoborodov. Im Durchschnitt sind die Musiker acht Mal pro Woche zusammen, sie sagen dazu „im Dienst“. Ein Dienst besteht aus 3 Stunden Orchesterarbeit, oft zweimal am Tag. Entweder als Probe oder als Konzert. Mit den drei bis vier Stunden Proben zu Hause ergibt das einen Acht-Stunden-Arbeitstag. Krivoborodov bringt zum Dienst seine übrige Familie mit: Unter den Kollegen ist seine Ehefrau. Sie spielt erste Geige, ebenfalls seit 21 Jahren.

Das viele Üben, die erwartete Perfektion im Spiel – das hört sich nach einer Menge Druck an. „Aber nein“, wehrt der 54-jährige Cellist ab. Er lächelt wieder. Druck sei das nicht. Und das Üben keine Pflicht, sondern ein Bedürfnis, dem er freiwillig nachkomme. „Das Bedürfnis eines Orchestermusikers, schön zu spielen.“ Und dafür muss man arbeiten. Einfach im Orchester sitzen und vom Blatt spielen ist nicht drin. „Wir sind schießlich keine Tonabnehmergeräte, sondern Menschen.“

Musik spielt für den gebürtigen Russen seit seinem vierten Lebensjahr die Hauptrolle. Zuerst lernte er Geige, dann Cello und Klavier. Mit 17 begann er als Orchestermusiker zu arbeiten, zunächst als Aushilfe. Drei Jahre später, der Musikstudent war gerade mal 20 Jahre alt, lernte er seine Frau kennen, heiratete und wurde zum ersten Mal Vater. Es galt Studium und Familie zu finanzieren. Mit 25 dann die Anstellung als Solocellist des Moskauer Kammerorchesters. Sechzehn Jahre spielte er dort. 1980 wanderte die Familie nach Deutschland aus. Gleich zwei Wochen nach ihrer Einreise spielten seine Frau und er bei den Hamburger Symphonikern vor. Und wurden sofort unter Vertrag genommen.

„Mit den Hamburger Symphonikern begann ein ruhigeres Leben“, erinnert sich der Streicher. Das – neben Philharmonikern und NDR-Orchester – kleinste der drei großen Orchester Hamburgs geht nur einmal im Jahr ins Ausland. In Russland war er jedes Jahr acht Monate auf Tournee.

Ein Leben jenseits der Binnenwelt Orchester – hat er das? Fahren er und seine Ehefrau nach Hause, nehmen sie das Orchester als Thema dahin mit. Selbst seine Freizeit verbringt Krivoborodov mit seinem Instrument. Da spielt er in drei Kammermusik-Ensembles. Wie die meisten seiner Orchester-Kollegen auch. Und sonst? Ein biss-chen Rad fahren, Schwimmen. Und das Handwerkliche. Alles, was im Haus anfällt, erledigt der Cellist selbst. Soweit er kann. Und darf. Ein Musiker braucht seine Hände, unversehrt. Besonders versichert hat er sie. Freiwillig, in seinem Arbeitsvertrag steht dazu nichts. Aber was sollte das Geld im Ernstfall schon bringen. „Den Verlust der Musik kann man damit nicht beheben.“ Dann lieber doch mal die Handwerker rufen, sicher ist sicher.

Das Instrument ist stets dabei, auch im Urlaub. Vorzubereiten gebe es schließlich immer was, für nach der Sommerpause. Der Cellist lacht. Er muss an den Urlaub in der Karibik denken. Seine Frau und er konnten die Instrumente nicht mitnehmen, wegen der hohen Luftfeuchtigkeit. Nicht auszuhalten war das, einfach so am Strand zu liegen. Schließlich musste ein Bambusstock herhalten. „Auf dem machte ich dann Fingerübungen.“ Er spreizt die Finger seiner gepflegten Hände und bewegt sie auf und ab.

Und trotzdem: „Ein bißchen Spaß, auch neben der Musik, muss sein.“ Krivoborodov grinst. Da ist die Modelleisenbahn, an der er seit zehn Jahren herumbastelt. Gerade mal zehn Prozent hat er fertig gestellt. „Wenn ich mal eine halbe Stunde Zeit dafür habe, dann ist das schon viel.“ Na ja, bis zur Rente schaffe er es vielleicht...

Es ist 13 Uhr. Noch sieben Stunden bis zum Konzert. „Mein 62. Soloauftritt mit den Symphonikern.“ Der Cellist klingt stolz. Was sie bis dahin machen? „Ich werde Tee trinken“, freut er sich. „Und Kuchen essen.“ Ein dankbarer Blick zur Frau. „Den bekomme ich immer gebacken, wenn ich Solo spiele.“ Sonst sei es ein ganz normaler Tag. „Stimmt nicht“, protes-tiert die Geigerin. „Du darfst heute nicht abwaschen.“ Richtig. Auch das steht zwar nicht im Vertrag. Aber die ungeschriebene Regel gilt. Seine Finger dürfen nicht weich werden. „Hornhaut – das ist für einen Streicher alles.“

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