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Mysteriöses Ende einer Dienstfahrt

von CHRISTOPH REUTER

Israel hat zur UNO ein angespanntes Verhältnis. Um die Entsendung einer Beobachtertruppe in die israelisch besetzten Palästinensergebiete zu verhindern, betreibt die Regierung Sharon einen bizarren Nebenkriegsschauplatz: Es geht um Videobänder, falsche Vorwürfe und vor allem darum, die UNO zu diskreditieren. Der konkrete Vorwurf: Die UNO soll Videoaufnahmen von der Geiselnahme dreier israelischer Soldaten durch Libanons islamistische Hisbullah besitzen und zurückhalten. Was genau hat sich im Oktober 2000 zugetragen?

Erster Akt

Am 7. Oktober 2000 werden in einer groß angelegten Militäroperation drei junge israelische Soldaten an einem entlegenen Grenzübergang zwischen dem Libanon und dem israelisch besetzten Areal der Schebaa-Farmen von der Hisbullah entführt, und zwar nur 400 Meter von einem Stützpunkt indischer Unifil-Soldaten entfernt, die der im Südlibanon stationierten Blauhelmtruppe angehören. Die Umstände der Entführung sind mysteriös: Entgegen ihren Dienstvorschriften waren nur drei Soldaten in nur einem Wagen auf Patrouille. Alle drei stiegen an dem Übergang aus, ohne ihre Zentrale zu benachrichtigen. Erst eine halbe Stunde später wurde ihr Verschwinden bemerkt. Israelische Zeitungen berichten, die drei hätten gar keinen Befehl gehabt, dorthin zu fahren.

Als die Entführungsfahrzeuge sieben Kilometer vom Entführungsort gefunden und von Unifil-Soldaten untersucht werden, finden sich außer Blutspuren in einem der Wagen Unifil-Kleidungsstücke und -nummernschilder. Doch weder Unifil-Uniformen noch -Fahrzeuge tauchen auf den Bildern der Entführung auf, die weltweit in Zeitungen und Fernsehen zu sehen sind, da ein Kameratrupp der Hisbullah wie so oft Teile der eigenen Operation gefilmt hat.

Über die Gründe, warum die drei Soldaten unter derart merkwürdigen Umständen unterwegs waren und von mehreren hundert Hisbullah-Kämpfern bereits erwartet wurden, kursieren im wesentlich zwei Vermutungen. 1. Es habe sich um ein Kommando zur Liquidierung eines hohen Hisbullah-Funktionärs gehandelt, das verraten wurde. 2. Es sei ein fingiertes Drogengeschäft gewesen, wofür es Zeugen und Indizien gibt: dass Ramsi Nahra, ein zur Hisbullah übergelaufener Großdealer und Exagent der Israelis aus dem Südlibanon, seine Kontakte genutzt habe, den dreien ein lukratives Geschäft versprechen zu lassen und sie so in die Falle zu locken. Während der israelischen Besatzung des Südlibanon konnte Nahra im Tausch gegen Informationen seinen Drogengeschäften lange Zeit ungehindert nachgehen. Als der israelische Rückzug absehbar wurde, wechselte er die Seiten und ging für eine Weile nach Beirut. Doch nach dem israelischen Abzug habe er, so ein hochrangiger Vertreter der Hisbullah, seine alten Kontakte genutzt und den drei Soldaten ein lukratives Geschäft in Aussicht gestellt.

Bei ihrem Einmarsch in den Südlibanon im Mai 2000 hatte die Hisbullah auch andere Dealer vor die Wahl gestellt, die Geschäfte einzustellen oder mit ihr zu kooperieren. Und exakt an der Stelle der späteren Entführung waren Wochen zuvor mehrmals israelische Soldaten beobachtet worden, wie sie sich mit Männern auf libanesischer Seite unterhielten. Die israelische Armee hat beide Versionen vehement dementiert, ohne weitere Erklärungen anzubieten, wie es zu der Entführung kommen konnte.

Zweiter Akt

Als die beiden Entfühungsfahrzeuge am 8. Oktober ins Unifil-Hauptquartier nach Nakura an die Küste gebracht werden sollen, stoppen bewaffnete Hisbullah-Kämpfer den UN-Konvoi und erzwingen die Herausgabe der Wagen. Dies wird von Unifil-Soldaten und einer weiteren Person, vermutlich einem Journalisten, gefilmt.

Dritter Akt

Anfang Dezember 2000 wirft die israelische Armeeführung der UNO vor, die Entführer hätten die blauweißen Unifil-Fahrzeuge benutzt, um die Soldaten in die Falle zu locken. Dass nirgendwo, weder auf dem Bildmaterial der Hisbullah noch dem der Unifil, UN-Embleme auf den Fahrzeugen zu sehen sind, verhindert nicht, dass Nachrichtenagenturen, TV-Sender und Zeitungen die Beschuldigung zur Tatsache umdichten.

Es beginnt eine massive Kampagne gegen die Unifil, der israelische Stellen vorwerfen, die Entführung nicht verhindert, ja sogar gefördert zu haben. Obwohl Unifil-Befehlshaber General Obeng belegen kann, dass die Entführer als Zivilisten gekleidet waren, beteuern israelische Offiziere, sie hätten „gute Gründe, anzunehmen“, die Entführer seien als Unifil-Soldaten aufgetreten.

Hintergrund des bizarren Streits dürfte die tief sitzende Abneigung gegen die UN-Präsenz in den Palästinensergebieten sein. Dass die Unifil sich in den 22 Jahren der israelischen Besatzung Libanons strikt neutral verhielt, hat sie in den Augen vieler Israelis zur Sympathisantin ihrer Feinde gemacht. Zumal die Präsenz der Blauhelme Israels Militärführung immer wieder in die Quere kam. So etwa 1996, als bei der Bombardierung einer UN-Basis im südlibanesischen Kana über 100 libanesische Zivilisten starben, die dort Schutz gesucht hatten. Der britische Journalist Robert Fisk berichtet, die Israelis hätten genau gewusst, wen sie treffen, da ein unbemanntes Aufklärungsflugzeug Minuten vor der Bombardierung das Lager überflogen habe. Die Militärs dementierten. Bis das private Video eines UN-Soldaten auftauchte. Darauf zu erkennen: das Flugzeug über dem Lager.

Vierter Akt

Ungefähr zur selben Zeit wird Ramsi Nahra auf Druck der Hisbullah aus dem Gefängnis in Beirut entlassen, in das ihn gerade eine Woche zuvor die libanesische Drogenfahndung gebracht hat. Er hatte tonnenweise Chemikalien zur Heroinherstellung importiert, da er sich, so ein Mithäftling, unter dem Schutz der Hisbullah sicher wähnte.

Fünfter Akt

Mehrmals fordert Israel die UNO auf, sämtliches Material, das Auskunft über das Schicksal der Entführten geben könnte, herauszugeben. UN-intern wird diskutiert, das Video von der erzwungenen Fahrzeugübergabe an die Hisbullah weiterzugeben. Davon nimmt man Abstand, da die Unifil „eine heikle Balance wahren muss und nicht einfach Informationen über die eine Seite mit der anderen teilen kann“.

Sechster Akt

Ende Juni wirft Israels Armeeführung der Unifil vor, selbst ein Video von der Entführung zu besitzen und es zurückzuhalten. Trotz aller UN-Beteuerungen, ein solches Video existiere nicht, verlangt Israels General Ashkanazi die Herausgabe. Man sei sicher, so der General, dass die UNO das Video habe. Woher man das wisse, sagt er nicht.

Siebter Akt

Am 16. Juli dieses Jahres teilt die Unifil mit, dass im Rahmen interner Recherchen in der Tat zwei weitere Videobänder aufgetaucht seien – nur keines von der Entführung. Eines zeige aus weiter Entfernung Rauch über Hügeln aufsteigen und könnte eventuell vom Tag der Entführung stammen. Das andere sei ein Mitschnitt des libanesischen Fernsehens, das wiederum genau jenes weltweit gesendete Filmmaterial der Hisbullah verwendete. Die Unifil erklärt sich bereit, den Inhalt sämtlicher drei Bänder israelischen Ermittlern zu zeigen – allerdings unter Unkenntlichmachung aller Nicht-UN-Angehörigen, um deren neutralen Status nicht zu gefährden. Israelische Regierungsstellen und Medien verbreiten weiterhin, die Unifil besitze ein Video der Entführung und weigere sich, es herauszugeben. Diese Version avanciert auch in großen deutschen Tageszeitungen zur Tatsache.

Achter Akt

Vermutlich haben israelische Ermittler die Videos mittlerweile gesehen. In israelischen und westlichen Medien kursiert weiterhin die These, die Unifil halte ein Video von der Entführung selbst zurück. Und je öfter die Unifil das dementiert, desto mehr zeige sie, so israelische Kommentatoren, dass sie mit der Hisbullah sympathisiere. Vollends ad absurdum geführt wird das Beharren auf der Herausgabe des angeblichen Videos dadurch, dass Film- und Fotomaterial von den Sekunden der Entführung auf dem Markt frei erhältlich ist – aufgenommen von der Hisbullah.

Über das Schicksal der drei Entführten sagt all dies nichts aus. Für die Klärung der Frage indes, wie die Entführung zustande kam, könnte das Video der Fahrzeugübergabe ein interessantes Indiz sein. Dort soll, so libanesische Quellen, der Besitzer des dunkelblauen Range Rover zu erkennen sein, der sein Auto wiederhaben will: Ramsi Nahra, der Drogengroßhändler. Doch an derlei Aufklärung scheint Israels Militärführung weniger Interesse zu haben. Denn das würde ja offenbaren, wie korrupt und verwundbar ihre Streitkräfte sind.

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