: Kulturelle Brücke
Von Neid und Einsamkeiten: Ein Porträt des engagierten Hamburger „Teatro Imediato“ ■ Von Annette Stiekele
In nur drei Jahren haben sie vier Produktionen gewuppt, in europäischen und lateinamerikanischen Ländern gezeigt, einen experimentellen Film gedreht und Theaterfestivals bereist. Die Energie, die man dazu braucht, scheint ihnen angeboren. Im Gespräch sprühen sie von einer Beseeltheit zum Theater, die jeden infizieren muss.
Dabei sind sie durchaus ein eigenwilliges Schauspielerduo: Silke Mühlenstedt ist groß, schlaksig, blond und von feiner Selbstironie, Cecilia Amado dunkelhaarig, von zierlicher Statur und überschäumendem Temperament. Gemeinsam sind sie das Teatro Imediato. Seit 1997 treten sie unter diesem Namen auf mit dem Zusatz „deutsch-brasilianisches Theater“, denn Amado kommt aus Südbrasilien, Mühlenstedt aus Bremen. Der sichtbare Kontrast ist Programm: „Wir wollen eine kulturelle Brücke zwischen Europa und Lateinamerika bauen. Daher haben unsere Produktionen sowohl in Rio de Janeiro als auch in Hamburg Premiere,“ sagen sie.
Gemeinsam forschen sie nach Stücken aus beiden Kulturkreisen, suchen sich einen Regisseur und stellen ein Team zusammen. Meist übernehmen sie alle Rollen selbst. Das gilt auch für ihre neue Produktion Neid und andere Schönheitsfehler, die sie am 30. August im Spiegelsaal des Museums für Kunst und Gewerbe vorstellen. Bei der Beschäftigung mit dem Tabuthema Neid stieß Amado auf die Erzählungen des 1839 geborenen Autors Machado de Assis, der als „brasilianischer Goethe“ gilt. Seine magische und bilderreiche Sprache reißt das Duo zu Begeisterung hin. „Er bezeichnet die Tugenden als Töchter des Himmels, deren Samtgewand in Baumwollfransen ausläuft. Wenn man daran zieht, löst es sich ganz schnell auf,“ erzählt Silke Mühlenstedt.
Die beiden Theaterbesessenen lieben die Geste und den Tanz, das spürt man auch im Gespräch. Nicht umsonst heißt „Imediato“ unmittelbar, direkt und so sprechen sie ihr Publikum an. „Wir spielen ein Theater, das die vierte Wand negiert,“ sagt Silke Mühlenstedt. Der Zuschauer wird einbezogen, ohne allerdings fürchten zu müssen, in übles „Mitmachtheater“ verwickelt zu werden. Beide haben ihren Peter Brook gut studiert. Und ihr zweites Idol, den Belgier Jacques Lecoq und sein Théatre du Geste. Cecilia Amado: „Dabei spielt der gesamte Körper und die Sprache ist nur ein Teil des Ganzen. Sie ist Ausdruck des Körpers.“ In der neuen Produktion wollen sie erstmals mehr Abstand zu den Figuren gewinnen und dem Text größeren Raum lassen.
Es sind keine sentimentalen Liebesdramen, sondern die großen menschlichen Fragen, die sie beschäftigen. „Wir wollen Sensoren sein für die beiden Gesellschaften, in denen wir leben,“ sagt Silke Mühlenstedt. Das erscheint auf den ersten Blick alles ziemlich gedankenschwer, dabei ist das Teatro Imediato nichts für Trauerklöße. In ihre Bühnenauftritte weben sie eine gehörige Portion Ironie und häufig clowneske Einlagen. „Wir machen aus der Not, nur zu zweit zu sein eine Tugend, indem wir uns zum Beispiel ganz schnell umziehen. Unser Publikum liebt das. Das ist mittlerweile ein festes komödiantisches Element,“ sagt Cecilia Amado. Die Ausstattung passt in einen Koffer: Wer die Kosten gering halten will, muss sich aufs Notwen-digste beschränken. Mit den Jahren haben sich die beiden an verschiedenen Hamburger Spielstätten einen Namen erspielt und können nun stolz auf zwei Jahre Förderung durch die Kulturbehörde blicken.
Am Anfang ihrer Laufbahn waren die Arbeitsbedingungen ungleich härter. Alles begann mit einer Trilogie der Einsamkeit. Das erste Stück, El día que...Impressionen der Einsamkeit, 1998 im Theatron aufgeführt, nahm den Tango als Metapher für die Hoffnung der Menschen, doch noch zueinander zu finden. Es folgten 1999 Der Zentaur im Garten nach dem gleichnamigen Roman von Moacyr Scliar. Hier ging es um die Einsamkeit durch das Anderssein und schließlich im vergangenen Jahr mit Die Zofen, die...über Samba, Mord und Erleuchtung um die selbst gewählte Einsamkeit. 1999 entwickelten sie eine weitere Produktion, Brecht besingt seine Frauen.
„Den Zentaur haben wir sogar mal auf der Straße geprobt und mit einem minimalen Budget bestritten,“ sagt Cecilia Amado nicht ohne Stolz. Theaterspielen, Teater leben heißt auch beim Teatro Imediato, einen Fulltimejob mit viel Idealismus zu verbinden. Morgens muss die Technik im Spiegelsaal besprochen werden, dann kommt die Pressearbeit dran, dazwischen acht Stunden Proben. Da ist eine städtische Förderung Balsam, vor allem aber spornt die künstlerische Anerkennung an. Und sagte nicht schon Simon McBurney vom Théatre de Complicité, in Zeiten des extremen Kapitalismus sehnten sich die Menschen mehr nach Theater denn je?
Premiere Neid und andere Schönheitsfehler: 30. 8., Museum für Kunst und Gewerbe
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