piwik no script img

press-schlagRadiophone Betrachtungen (Teil 14)

Griff nach der Weltmacht

„Aufruhr, Widerstand – Fernbedienung aus der Hand!“: Niemals seit dem Schweigen für den Frieden war Opposition so billig zu haben wie derzeit. Wer sich in den letzten drei Wochen als Teil einer – auch noch siegreichen – Bewegung fühlen wollte, die dem Kapitalismus die Maske vom Gesicht reißt und seine üblen Machenschaften entlarvt, musste samstags einfach dasselbe machen wie bisher, nämlich die Kneipe leer saufen oder Volksmusiksendungen einschalten – und zählte plötzlich als Dissident.

Wollte man sich trotzdem über die Bundesliga informieren, hörte man eben nachmittags Radio. Nun machen 7 Spiele statt 4 oder 5 die Konferenzschaltung zwar tatsächlich wieder zu einer Veranstaltung, die diesen Namen verdient, aber vorgestern zeigte sich das Radio eher von seiner spröden Seite. In Bayern sind noch Schulferien – also berichtete aus Nürnberg nicht der Leib-und-Seele-Reporter Günther Koch (der seine Brötchen ja als Gymnasiallehrer verdient), sondern nur der wackere Edgar Endres. Und Temperamentsbolzen wie Wilhelm Johannson in Bremen (Schnarch!) oder militante Berufsbayern wie Karlheinz Kas, der beharrlich so tut, als sei er unfähig, die häufigste hochdeutsche Wortendung „-en“ auszusprechen („Die Torschützne für Bayern warne ...“), dürften die Bereitschaft der Kirch-Asylanten, auf Dauer zum Radio zu desertieren, nicht gerade befördert haben. Außerdem war die Dramaturgie ungünstig: Gerade mal vier der 27 Samstags-Tore (drei davon auf Schalke) fielen zwischen 16.55 und 17.15, also live. Alle anderen Dramen wie z. B. das Hin und Her in Nürnberg und die vergebliche Aufholjagd des HSV gegen Kaiserslautern hatten sich bereits zuvor vollzogen.

Nun werden sie also alle zurück zu „ran“ kommen, weil „ran“ wieder näher rankommt. Aber machen wir uns nichts vor: Der Sieg im Volkskrieg ist nur vorläufig. Kirch wird zurückschlagen. Er wird erneut nach der politischen Macht greifen (Helmut Kohl steht bereit) und dann mediale Zustände wie in der „DDR“ einführen, damit wir doch noch Pay-TV abonnieren. Deutschland wird sich informationsmäßig in ein mittelalterliches Dorf verwandeln. Bevor „Erich“ Kirch es will, wird niemand mehr erfahren, was sich in den Stadien abgespielt hat.

Zuerst wird er „ran“ einstellen. Dann werden das Free-TV und das Internet generell fußballfrei gemacht. Gleichzeitig wird die Bundesliga-Berichterstattung im Radio unterbunden. Und da auch das nichts nützen wird, dürfen schließlich auch die Zeitungen nichts mehr über die Liga schreiben. Sondern nur noch über den Kirch im Dorf. OLIVER T. DOMZALSKI

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen