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Der Bruder hilft

Der BFC Dynamo steht vor dem Konkurs und will sich von Dynamo Moskau retten lassen – mit Trikotwerbung. Ein einmaliger Deal der Sportgeschichte

von JÜRGEN SCHULZ

Wäre der BFC Dynamo eine Boxstaffel, würden derzeit wohl aus allen Richtungen Handtücher fliegen zum Zeichen der Aufgabe. Aber trotz der vielen Niederschläge in den letzten Monaten rennen die Fußballer aus Hohenschönhausen weiterhin dem Fußball hinterher, obwohl der Konkurs droht. Vielleicht bleibt ja nichts anderes übrig. Die Wechselfrist für Vertragsamateure lief am 15. August ab. „Niemand weiß, wie es bei uns weitergeht“, erklärte ein Spieler nach dem 0:1 des einstigen DDR-Rekordmeisters bei einer No-Name-Truppe aus Lichterfelde am vergangenen Samstag.

„Insolvenzgefahr besteht vorerst nicht“, beteuert hingegen Sportdirektor und Manager Hans Reker. Im Gegenteil: Die Chancen, dass der BFC die Krise überstehe und die Saison ohne Konkursantrag zu Ende spielen könne, beziffert er auf „über 90 Prozent“, Go east!, lautet Rekers Parole. Damit Dynamo wieder in Fahrt kommt, flog er, der mit Nickelbrille und grauem Bart wie ein Intellektueller wirkt, Anfang August nach Moskau. In der russichen Hauptstadt fädelte der Berliner einen Deal ein, der in der deutschen Sportgeschichte wohl einmalig wäre. Dem neuen Besitzerkonsortium von Dynamo Moskau unterbreitete Reker ein Angebot zur freundlichen Übernahme des klammen Berliner Namensvetters.

„Moskau spielt in unseren Überlegungen eine große Rolle. Zu den Einzelheiten der Gespräche sage ich nichts“, merkt Reker an. Dennoch wurde der Handel bekannt, den er Dynamo Moskau anbot: Der weitaus erfolgreichere Verein aus dem Osten, zu Sowjetzeiten ebenfalls von Innenministerium und Polizei gefördert wie der BFC, übernimmt 51 Prozent der BFC-Marketing GmbH. Zudem soll dem Topverein von der Moskwa die Option zur Werbung auf den Trikots des deutschen Oberligisten eingeräumt werden. „Die Gespräche mit Moskau laufen gut“, berichtet der BFC-Manager gut gelaunt.

Vor ein paar Wochen noch hatte er nur wenig zu lachen. Ende Juni hatte Vereinspräsidentin Karin Seidel-Kalmutzki nach neun Monaten ihr Amt niedergelegt – entnervt vom internen Duell mit Reker. Der Manager hatte den wirtschaftlichen Standort des BFC offensichtlich weitaus rosiger dargestellt, als es seiner Vorgesetzten lieb war. Die SPD-Politikerin Seidel-Kalmutzki hatte von Reker einen Kassensturz gefordert und einen Insolvenzantrag nicht ausgeschlossen. Schon seit Jahren taumelt der einstige Dauerchampion am wirtschaftlichen Abgrund. Düster mahnte die scheidende Präsidentin beim Abschied: „Die Augen zu verschließen ist nicht die richtige Strategie.“

Seitdem hat sich wenig verändert. Immerhin gesteht Reker einen Schuldenstand in mehrfacher Millionenhöhe ein, verströmt jedoch gleichzeitig neue Zuversicht dank Moskauer Grüßen. Den entmutigten Spielern stellt er per 1. September die noch ausstehenden Gehälter für Juli und August in Aussicht. Die Spieler bleiben skeptisch gegenüber dem Mann, der ihnen im Frühsommer ungedeckte Schecks angedreht hatte. Was könne er dafür, rechtfertigte sich der Manager, dass die Spieler schneller in ihre Bank gestürmt seien, als die Sponsoren die versprochenen Gelder auf das Vereinskonto überwiesen hätten.

Eile ist dennoch geboten. Gerade wurde der Hauptsponsor Lipro AG unter vorläufige Insolvenzenverwaltung gestellt. Ursprünglich wollte das Softwarehaus den BFC bis 2005 ins Profilager hieven. „Es ist so gut wie kein Geld mehr in der Kasse“, muss der Firmensprecher Roy Wenske zugeben. Dynamo blieb nichts anderes übrig, als im ohnehin schon geschrumpften Etat nochmals den Rotstift anzusetzen.

Deshalb hofft Reker nun, dass seine Liebesgrüße an Moskau erwidert werden. Ende August erwartet er die russische Delegation in Hohenschönhausen. Dass die prekäre Situation die Gäste abschrecken könnte, glaubt der BFC-Manager indes nicht. „Unsere Verhandlungspartner kennen die Zahlen ganz genau.“

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