Medikament Lipobay ist jetzt weltweit vom Markt

In den USA drohen Bayer milliardenschwere Schadenersatzklagen. Auch die Gesundheitsministerin denkt über ein Bußgeld nach – 50.000 Mark

BERLIN taz/dpa ■ Jetzt hat Bayer seinen Cholesterinsenker Lipobay auch in Japan vom Markt genommen. Damit wird er weltweit nicht mehr verkauft. Bayer entschloss sich zu dem Schritt, nachdem japanische Behörden bekannt gegeben hatten, dass das kontraindizierte Präparat Gemfibrozil demnächst eingeführt werden soll. Der Marktrückzug bedeutet eine neuerliche Ergebnisbelastung von 300 Millionen Mark. Bayer musste gestern zudem einen Bericht des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte bestätigen, nach dem weltweit mittlerweile 1.100 Fälle von Muskelschwund aktenkundig sind. Der Konzern geht von weltweit 52 Todesfällen aus – darunter fünf in Deutschland.

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) will als Konsequenz aus dem Skandal zügig einen Arzneimittelpass für Patienten einführen. Auf der Chipkarte sollen alle Medikamente erfasst werden, die ein Patient nimmt. Schmidt hat ihre Pläne gestern mit Vertretern von Ärzteschaft und Apothekern abgestimmt und eine Arbeitsgruppe einberufen, die weitere Verbesserungen der Arzneimittelsicherheit in Deutschland prüfen soll.

Mittlerweile sind in den USA bei sechs verschiedenen Bundesgerichten Sammelklagen gegen Bayer eingegangen. Nach Informationen der Welt fordern zwei große US-Anwaltsfirmen, die Klagen an einem Ort zu bündeln, um so die Schlagkraft zu erhöhen. Am 5. September soll es in Chicago ein Treffen aller interessierten Anwälte geben.

Analysten gehen davon aus, dass auf Bayer Schadenersatzforderungen in Milliardenhöhe zukommen. „Wir werden uns vehement zur Wehr setzen, denn wir halten die Klagen für unbegründet“, erklärt Bayer-Vorstand Manfred Schneider in einem offenen Brief. Erstens sei der kausale Zusammenhang zu Gesundheitsschädigungen nicht nachgewiesen. Zweitens habe Bayer im Beipackzettel und durch Ärzte-Informationen auf die Gefahren hingewiesen. Schneider: „Unser Unternehmen hat jederzeit verantwortungsvoll gehandelt.“

Dem allerdings widersprach gestern Gesundheitsministerin Schmidt. „Erst nach zwei Monaten und dann auch nur auf Nachfrage hat Bayer eine Studie über Nebenwirkungen an die Aufsichtsbehörde nachgereicht.“ Die Vorgänge würden geprüft. Sollten sie sich erhärten, droht Bayer ein Bußgeld, dass Vorstand Schneider allerdings erheitern dürfte: 50.000 Mark.

Die Bundesrechtsanwaltskammer befürchtet jetzt eine Zunahme von US-Sammelklagen gegen deutsche Unternehmen. Kammerpräsident Bernhard Dombek sieht dadurch gar die Gefahr einer „Aushöhlung“ des deutschen Rechtssystems. Bei „spektakulären Fällen“ wie dem Skandal um Lipobay würden Anwälte „in Zukunft immer mehr versuchen, einen amerikanischen Bezug herzustellen“.

NICK REIMER