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Lutzi in the Sky

Wie die Regenbogen-Spitzenkandidatin gestern mit ihren kiffenden Kollegen für den Einzug in die Bürgerschaft kämpfte  ■ Von Gesine Kulcke

Wie enttäuschend. Sie haben keine Kekse mitgebracht, nur eine leere Tüte. Groß wie eine Schultüte, aber ohne Wirkung: „Die Kekse haben wir nicht mehr gebacken gekriegt“, entschuldigt sich Julia Koppke. Dafür haben sie ein großes, weißes Bettlaken bemalt: „Legalize it“ steht drauf, daneben ist ein grünes Cannabisblatt gemalt und drunter steht: Regenbogen, die WählerInnenvereinigung für eine neue Linke. Punkt Zwölf und bei glühender Hitze haben sie sich ges-tern auf der Alsterbrücke in der Innenstadt versammelt.

Vor dem ausgerollten Bettlaken greift Dirk Hauer zum Megaphon und erzählt, warum weiche Drogen legalisiert werden müssen. Das schlagende Argument: „Die einen genießen am Abend ihr Glas Rotwein, um zu entspannen, die anderen ziehen halt einen durch.“ Zum Beweis haben seine Kollegen ein wirklich gelungenes Wahlplakat für Ortwin Runde entworfen. Er wird sich ärgern, dass er nicht selbst drauf gekommen ist: Mit glasigen Augen sitzt er cool und entspannt mit einer Megatüte auf dem Klo und ist so glücklich, dass selbst sein Schnurrbart mitlachen muss. Endlich kommt er aus sich raus. Wenn auch nur auf dem Klo. Nicht so die Regenbogentruppe: Die will in die Öffentlichkeit.

Und dann hat sie plötzlich irgend jemand aus der Tasche gezogen und schon kreisen sie: vier Tüten. Diesmal keine Schultüten, sondern echte. Qualmende und duftende, gekonnt gerollte Joints. Lutz Jobs ist ein alter Hase, das sieht man gleich. Absolut fototauglich hält er die senkrecht in die Luft zeigende Tüte zwischen zwei Fingern, nimmt einen mächtigen Zug und reicht ihn weiter. Wie in alten Zeiten.

Susanne Uhl ziert sich ein wenig, lacht unsicher. Bis Julia Koppke ihr die Tüte schließlich abnimmt. Längst nicht so erfahren wie Lutz Jobs, aber immerhin freundlich lächelnd zieht sie, als hätte sie nichts zu verlieren, und bläst der Springer-Presse den Rauch direkt in die Kamera. Jetzt kann auch Susanne, fehlt nur noch die Spitzenkandidatin.

Doch Heike Sudmann spielt nicht mit. Sie ist nur in ihrem lila Sackkleid gekleidet als ob, raucht aber gar nicht. Noch nicht einmal Zigaretten. Sie wüsste gar nicht, wie das geht und würde sicher an dem Qualm ersticken, den ihre inzwischen mächtig entspannten und immer lauter lachenden Kollegen lustvoll einatmen. „Trotzdem bin ich für die Entkriminalisierung von Cannabisfans“, sagt sie bestimmt, während sie den vorbeieilenden Bürgern unermüdlich Flugblätter in die Hände drückt, und versucht sie davon zu überzeugen, dass Leute, die gerne mal kiffen, nicht in den Knast gehören.

Wie ein Rufer in der Wüste: „Ihre Politik mag ich sowieso nicht. Sie sind für die Rote Flora, Ausländer und kriminelle Jugendliche“, keift eine ältere Dame sie an. Doch die Spitzenkandidatin kämpft weiter, für die bessere Welt, in die Lutz Jobs, der nach 20 Minuten immer noch eine Tüte in der Hand hält, längst eingetaucht ist.

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