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Lauschangriff in Genua

Die italienische Polizei hat inhaftierte Gipfelgegner abgehört und behauptet, deren Berichte von Gewalt gegen Demonstranten seien erfunden. Gegen 16 Beamte wird wegen Körperverletzung ermittelt. Die EU arbeitet an einer „Polit-Hooligan“-Datei

von MICHAEL BRAUNund YASSIN MUSHARBASH

Die italienische Polizei versucht, mit zwei Dossiers die Genueser Staatsanwaltschaft von ihrer Version der Ereignisse beim G-8-Gipfel von Genua zu überzeugen. Das erste Dossier greift die angeblich „falsche und tendenziöse Berichterstattung“ in italienischen Medien an. Das zweite Dossier soll beweisen, dass in Genua Gewalt nicht nur vom so genannten „Schwarzen Block“, sondern auch von den „Tute bianche“ ausging, die sich vorgenommen hatten, ohne Einsatz von Steinen oder Knüppeln, nur mit weißen Overalls bekleidet in die „Rote Zone“ einzudringen.

Als Beweis für Gewaltbereitschaft werden am Handy gefallene Sprüche zitiert: „In Genua wird’s rundgehen, das wird ein Desaster geben.“ Die Beweiskraft ist freilich gering: Einerseits wussten die Tute bianche angesichts der laxen italienischen Abhörpraxis, dass sie belauscht wurden. Andererseits machten sie nie ein Geheimnis aus ihrer Absicht, die Rote Zone symbolisch zu stürmen.

Im Gegenteil: Der „Sturm“ war sogar Verhandlungsgegenstand zwischen Demonstranten und Polizei, wie der zwischenzeitlich gefeuerte Polizeipräsident von Genua vor dem Parlamentsausschuss aussagte. Die Polizei habe mit den Tute bianche das Eindringen einiger Demonstranten an der Absperrung der Piazza Verdi abgesprochen. Es sei aber nötig geworden, den Protestzug zu zerschlagen, weil sich auch Gewalttäter des „Schwarzen Blocks“ eingereiht hätten. Der taz-Korrespondent konnte allerdings das Gegenteil beobachten: Mehrfach verhinderten die Tute bianche das Eindringen mit Knüppeln ausgerüsteter Militanter in ihren Zug.

Die Polizei legte auch Abhörprotokolle vor, laut denen österreichische Gefangene des Wandertheaters Volxkarawane ihre Aussagen über Schläge und Misshandlungen in der Polzeikaserne Bolzaneto abgestimmt und möglicherweise erfunden hätten. Deren Rechtsanwalt erklärte, die Protokolle – von unbekannter Hand an die Presse weitergegeben – seien „entweder unecht oder betreffen nicht die Mitglieder der Volxkarawane“.

Mittlerweile wird auch gegen italienische Polizisten ermittelt. Die Justiz leitete gestern italienischen Medien zufolge gegen 16 Beamte Verfahren wegen Körperverletzung ein.

Unterdessen hat der italienische Parlamentspräsident Ferdinando Casini auf einen Brief seines deutschen Amtskollegen Wolfgang Thierse geantwortet. Thierse hatte Casini gebeten, sich für die unschuldig Inhaftierten einzusetzen. In Genua befinden sich noch 17 Demonstranten in Haft, darunter 15 Deutsche. Casini betonte die Unabhängigkeit der italienischen Justiz und verwies auf das Haftprüfungsgericht, das schwerwiegende Beweise für die Mitgliedschaft der Inhaftierten im „Schwarzen Block“ sehe.

Die englische Bürgerrechtsorganisation „statewatch“ warnt indes vor Versuchen der EU, Freizügigkeit und Demonstrationsfreiheit in Europa auszuhöhlen. Am 4. Juli hatten sich die Innen- und Justizminister der EU zu einer Sondersitzung getroffen und eine Reihe von „Schlussfolgerungen“ aus den Ereignissen von Göteborg im Juni gezogen. Die Minister wollen prüfen lassen, ob der europäischen Polizeibehörde Europol die Kompetenz für die Erstellung einer EU-weiten „Polit-Hooligan“-Datei überantwortet werden kann.

Nach den Vorstellungen der Minister sollen Ausreiseverbote für potenzielle Gewalttäter im Vorfeld von Gipfelveranstaltungen Standard werden. Deutsche Behörden hatten bereits vor dem Gipfel von Genua gegen angeblich gewaltbereite Gegner Ausreiseverbote ausgesprochen.

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